Die Messschnur das Richtmaß der Welt und das Vermessen der Kreiszahl Pi

 

Veröffentlicht am 28. Februar 2013

Inhaltsverzeichnis

  1. Der Salomonische Tempel – Abbild der Vollkommenheit
  2. Grundsätzliches zum Symbol der Messschnur

                                               – ihre natürliche Beschränkung

  1. Drei maßgebende Sätze
  2. Dreiheit und Ordnung
  3. Die Führungszahl 30
  4. Der Fehler
  5. Die „angehängte“ Fünf
  6. Der Tempel-Baumeister das ihm Fehlende und seine Kunst
  7. Die ideale Messschnur und die konkrete Kreiszahl Pi
  8. Von der dinglichen zur geistigen Messschnur

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11.0 Ein Nachtrag in „wissenschaftlicher Prosa“

         11.1 Die Relativität der Objekte und die der Subjekte

         11.2. Das schauende Subjekt

                  und seine zwei Herausforderungen

         11.3 Zwei Gefahren

 

  1. Der Salomonische Tempel – Abbild der Vollkommenheit

Religiöses Denken wird in Bildern und Mythen übermittelt. Einige dieser Mythen berichten vom Tempel des Königs Salomons. Der legendäre, biblische Salomonische Tempel soll ein irdisches Abbild des Himmelreichs sein, und ein Bild für den gesamten Weltenbau zeichnen. In seinen Maßen und seiner Ausstattung verbergen sich angeblich die Geheimnisse der Schöpfung.

Die Bibel berichtet recht ausführlich über den Tempel und seine Ausstattung. Sie nennt genaue Daten und spart in ihren Angaben nicht mit Maß und Zahl, sondern hebt diese immer wieder hervor. Das macht es schwer, die Beschreibung nur als ein vieldeutiges Bild zu sehen. Der Verdacht, es handelt sich dabei um die Beschreibung archetypischer Symbole, welche grundlegend sind und in allen Existenzen wiedererkannt werden können, drängt sich dem Leser regelrecht auf. Schon die Angaben über Baubeginn und Bauzeit verraten, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Archetypenbeschreibungen handelt.

Der Bibel nach (1Kön 6,1) begann Salomon den Bau des Tempels im vierten Jahr seiner Herrschaft. Nach sieben Jahren war der Bau vollendet (1Kön 6,38). Die Vierzahl symbolisiert die irdische Vollkommenheit (s. Paradies) und die Siebenzahl die Archetypen der Schöpfung (s. 7 Tage der Schöpfungsgeschichte).

Wenn der legendäre, biblische Tempel in seinen Maßen und seiner Ausstattung den vollkommenen Weltenbau symbolisiert, dann erhält die Frage nach dem beim Bau verwendeten Urmaß eine besondere Bedeutung. Im Falle der Beschreibung des Salomonischen Tempels haben wir Glück. Sie nennt nicht nur ausdrücklich die zugrundeliegende „Messschnur“, sie hebt sie im Wissen ihrer Bedeutung sogar besonders heraus und beschreibt ihre „Auswirkungen“ auf Objekt wie Subjekt zugleich.

 

  1. Grundsätzliches zum Symbol der Messschnur – ihre natürliche Beschränkung

Eine Messschnur ist ein Ideal. Sie ist für das, was entstehen soll, das Vorbild. Sie besteht aus Teilen, welche durch Messknoten oder Zahlen sichtbar gemacht werden. Trotz ihrer „Teilhaftigkeit“ ist sie ein Ganzes, und ihre Bestimmung ist, in allem durch sie Entstandenem und seinen Teilen jederzeit das Ganze und Maßgebende, eben das Urmaß, sichtbar werden zu lassen.

Das „Teilhaftige“, welches ein Ganzes offenbart, kennen wir in seiner grundsätzlichsten Form als das Gesetz der Vierheit (1-4). Es ist maßgebend für jegliche Art der Manifestation.

Die Messschnur verkörpert dieses abstrakte Grundgesetz der Manifestation und ist gewissermaßen dessen erste gegenständliche und somit greifbare Erscheinung.

Dass die Bibel die Messschnur im Zusammenhang mit der Beschreibung der Ausstattung des Tempels erwähnt, wirkt stimmig. Dass sie explizit in dem Augenblick genannt wird, als der Baumeister ein Meer aus Bronze gießt, wirkt hingegen eigenartig. Die Erklärung ist aber schnell gefunden, wenn man die dabei auftretenden Zahlensymbole anschaut. Der Zusammenhang ergibt sich aus dem vorgenannten Manifestationsgesetz 1-4, dessen gegenständliche Erscheinung die Messschnur ist. Das Meer hat die Zahlenfolge 10-40 und ist damit dessen höherdimensionale Ausformung.

Als vergegenständlichtes Grundgesetz unterliegt die Messschnur den Gesetzen und Beschränkungen, wie sie für alles Konkrete und Körperhafte gelten. Gemeint ist damit, wie wir die Dinge sehen, denn unser Blick auf die Dinge ist zunächst immer ein linearer, weil vordergründiger. Wenn wir beispielsweise eine gerade Linie sehen, dann ist dieses Linienhafte oder sogar Gerade nur aus unserer Sicht heraus linienhaft und gerade, auch wenn wir die Erfahrung mit vielen anderen teilen. Aus einer anderen Sicht ergeben sich womöglich andere Relationen, und unser Auge erblickt dann andere Linien. Verknüpfen ist zu allem Anfang immer ein eindimensionales, lineares Verknüpfen. Das linienhafte Verknüpfen und das lineare Denken machen unseren Blick auf die Welt möglich und sind ihm eigen. Es bedarf jedoch einer Bewusstseinsentwicklung, um mehrere Perspektiven zugleich wahrnehmen zu können und um über den nur linienhaften Blick hinaus zu einer umfassenderen, mehrdimensionalen Schau zu gelangen.

Die Messschnur als Urmaß versinnbildlicht das grundlegende Linienhafte. Sie ist eine Leine und in dieser Form zunächst ein gerade Linie, ähnlich der fortlaufenden Zahlenreihe, welche sie abbildet. Das Linienhafte, wie auch die unendliche Zahlenreihe, sind Instrumente, um Beziehungen zu erfassen. Weil die wirklichen Beziehungen vielfältiger sind, als es uns das Linienhafte zeigt, passen wir nach und nach die Teile, welche das Linienhafte und unsere Messschnur entstehen lassen, im Sinne der höheren Dimensionen an. Wir ordnen sie neu.

Welche Form und Struktur eine solche Ordnung haben muss, beantworten die Religionen mit der Dreizahl. Sie nennen sie Trinität. In den drei uns prägenden Dimensionen sehen sie deren gegenständliche Erscheinungsform.

Wenn wir die fortlaufenden Zahlen in Dreiecken anordnen, dann entstehen erkenntnisreiche, fraktale Beziehungsmuster. Ich habe sie in meinem Buch „Die Weltformel der Unsterblichkeit“ aufgezeigt und in drei Dimensionen beschrieben. Einige wichtige der nachfolgenden Erklärungen werden nur durch diese Struktur einsichtig.

  1. Drei maßgebende Sätze

Eine Messschnur, welche die trinitarische Struktur einschließt, geht über ihre vordergründige Linearität hinaus und vermag in drei Ebenen Beziehungen zu erstellen. Entsprechend stellt der Bibeltext die grundsätzlichen 3 Arten von Beziehungen in 3 Sätzen vor (1Kön 7,23)[i]:

  1. Und er machte das Meer, gegossen, 10 Ellen von seinem Rand bis zu seinem Rand, ringsum rund.                                                                                        (horizontal)
  2.  Und 5 Ellen ist seine Höhe.                                                                       (vertikal)
  3.   Und eine Messschnur von 30 Ellen konnte es ringsherum umspannten.“  (Abstraktion)

 

zu 1.)    Der erste Satz beschreibt die geradlinige Strecke, in deren Verhältnissen die konkreten Dinge der Welt stehen. Deren Basis ist die 10. Die Zehnzahl schließt durch ihre Polarität hier durch die Aussage „von Rand zu Rand“ (d.h. 2 x 5) beschrieben auch noch die hinter ihr stehende Ganzheit im Bild des Kreises („ringsrum rund“) ein. Der erste Satz beschreibt ganz allgemein die „horizontalen“ Verhältnisse, wie sie für jedes Auge sichtbar sind. Er steht für die einfachste Beziehung und muss, ähnlich einem Lineal, nur die Herrschaft über das Geradlinige erlangen. Damit wird eine eigentlich komplexe Welt, wie hier der Kreis, über die einfache, lineare und (nur) zählende Zahlenreihe erfasst.

zu 2.) :    Der zweite Satz erfordert mehr. Er erschließt eine zweiten Dimension – die vertikale Dimension („Höhe“). Dazu ist ein weiteres Differenzierungsvermögen erforderlich, nämlich die Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Reduzierung und Halbheit, wie es das Verhältnis 5 : 10 = ½ wiedergibt und wie es im ersten Satz nur in einer Larvenform vorgelegen hat. Der zweite Satz setzt sich mit dem Halbsein und auch dem Zweifachsein auseinander. Die zweite, vertikale Dimension benutzt das gleiche lineare Maß der zählenden Zahlenreihe wie die erste, die horizontale Dimension und ist in gleicher Weise konkret wie diese. Doch wird im Gegensatz zu ihr mehr die Fähigkeit der dimensionsübergreifenden Schau gefordert, wie sie der „Archetyp 5“, der für das Subjekt steht, beschreibt.

 

zu 3.)   Die dritte und höchste Beziehung ist die anspruchsvollste. Sie benutzt zwar noch immer die gleichen Maßelemente, die Zahlenfolge, aber in einer anderen, erweiterten Weise. Mit ihrer Hilfe wird etwas „umfasst“, was über die eigentliche Ursprungsdimension der Messschnur, nämlich ihr Geradesein, ihre Linearität, hinausgeht. Die ursprünglichen Maßelemente machen es möglich, die höhere Dimension, die Fläche des Kreises, zu umfassen. Doch das Ergebnis ist mehr als das Schlussfolgern innerhalb einer linearen Logik, für die hier das bloße Errechnen steht. Der Begriff des „Umfassens“ und die Zahl 30 beschreiben die besondere Art der dritten Beziehung und die durch sie hervortretende neue Qualität.

Die Zahl 30 „umfasst“ mehr, als es die nur linear gebrauchten Zahlenelemente preisgeben. In ihr verbirgt sich die neue Qualität. Die Zahl 30 bedeutet etwas. Sie erfüllt die Synthese-Qualität der Zahl 3 in der Bedeutung von „verbinden“ und „zusammenfassen“ auf einer höheren Ebene. Das hier gemeinte „zusammenfassen“ ist nicht mehr nur eines, wie es unaufhörlich und auf unbewusste Weise in der Natur (4) stattfindet, sondern eines, das durch ein Subjekt (5) aktiv und bewusst vollzogen wird.

Der dritte Satz ist ein, die beiden vorangehenden Sätze verbindender. Er greift beide Qualitäten auf, erst die eine (1) und dann die andere (2) Art von Linearität und verbindet sie zu einem anderen, höheren Ganzen. Die Syntheseleistung des Subjektes bringt das Flächenhafte zur Anschauung. Im Bild der Polarität würde man sagen müssen, dass das Subjekt die höhere Dimension „vor sich bringt“.

 

  1. Dreiheit und Ordnung

Die dritte Beziehung übersteigt das (nur) Konkrete. Sie ist ein geistiger Akt und nur wenigen möglich ist. Das vollständige Erfassen der Beziehung setzt das Wissen um die Archetypen voraus. Der Baumeister des Salomonischen Tempels, der Bronzeschmied Hiram von Tyrus, war im Besitz des Wissens. „Er war  voller Weisheit und Einsicht “ [1 Kön 7,14].  Zu dieser Einsicht gehört die Kenntnis der Zusammenhänge von (hebräischen) Buchstaben, ihrer Ordnungsfolge, ihrer Zahlenwerte und ihrer Symbolbedeutung. So wusste der Baumeister: 30 ist der Zahlenwert des 12. Buchstabens ( l , Lamed). Seine Bedeutung ist die eines Ochsenstachels, und im 12. Buchstaben wird die „maßgebende“ Verbundenheit von Einheit (1) und Zweiheit (2) anschaulich.

Der „Ochsenstachel versinnbildlicht ein Instrument, mit dem aus einer höheren Bewusstseinsebene heraus niedere Erdkräfte (Ochsen) angetrieben werden, um den Ackerboden zu bearbeiten. Der 12. Buchstabe verbindet demnach nicht nur horizontal, also Dinge auf der gleichen Ebene, sondern auch vertikal, Himmel und Erde.

Die Basis des meisterlichen Wissens ist die alles umfassende Trinität. Zu ihr gehört vor allem auch die Ordnung der Zahlen im Bild von Dreiecken, in denen die Dreizahl nicht mehr nur als ein Drittes einer linearen Folge gesehen wird (1-2-3 ), sondern als ein Erhöhtes, Zusammenfassendes, das eine neue Daseinsebene eröffnet (1-2-30 ). So kommt beispielsweise die Zahlenfolge 1-2-3 in der Thora niemals vor, wohl aber 1-2-30, was soviel wie „gewiss“ bedeutet, und durch die Erhebung der 3 (3à30) eine neue Basis und Gewissheit verschafft.

 

  1. Die Führungszahl 30

Die Qualität und Fähigkeit der Zahl 30 ist, in der Handlung des Subjekts Gegenpole zu umfassen und zu einer Einheit zu verbinden. Das macht sie zu einer Führungszahl. Nicht selten ist sie in Mythen deshalb u.a. ein Kennzeichen von göttlichen Bauten oder besonderen Herrschern. Nur fünf von zahlreichen Beispielen sollen hier genannt sein:

  • Der legendäre König David, der Vater des davidischen Geschlechts und Vater König Salomons, wurde ausdrücklich mit seinem 30. Lebensjahr zum König des ganzen Landes, nachdem er zuvor Juda und Israel durch einen Bund geeint hatte (2 Sam 5,4).
  • Der Salomonische Tempel hatte eine Höhe von 30 Ellen (1 Kön  6,2) und auch die Stiftshütte, Zeltheiligtum und Vorläufer des Tempels, war der biblischen Beschreibung nach,  30 Ellen lang.
  • Die Arche Noah, in der die Gottheit das Gerechte unter dem Bösen in eine „höhere“ Welt mit neuen Gesetze hinüberrettete, hatte ein nach oben gerichtetes Fenster und war 30 Ellen hoch (1. Mose 6,15).
  • das altägyptische „Sedfest“ (Heb-Sed-Zeremonien) bedeutet wörtlich übersetzt „Fest 30“. Bei diesem Fest musste der König seine Führungsfähigkeit beweisen. Er musste beweisen, dass er noch fähig war, König zu sein.
  •  „Im alten Rom musste ein Mann 30 Jahre alt sein, wenn er Tribun werden wollte, und sowohl Moses als auch Jesus begannen, in diesem Alter zu predigen.“ (zit. n. Adam Spencer: Das Buch der Zahlen, dtv, München 2002)
  • Der Davidide und Gottessohn Jesus wurde von seinem Jünger Judas für 30 Silberlinge verraten. Judas „umfasste“ mit seiner Handlung das Gute und das Böse. Nach den Worten Jesus wurde so das „Gesetz erfüllt“.

 

  1. Der Fehler

Die drei „maßgebenden“ Sätze stellen zunächst eine sehr einfache Rechnung vor. Nach ihr hat der Kreisumfang eines Kreises mit einem Durchmesser von 10 einen Umfang von 30. Die Rechnung ist nicht unmittelbar falsch. Doch sie hat aus mathematischer Sicht einen Fehler. Ihr fehlt die Genauigkeit. Das angegebene Verhältnis von 1:3, von Durchmesser zu Umfang, ist nur eine Näherung an die wirkliche Kreiszahl Pi (3,14). Die Näherung ist aber so grob, dass ihre Absicht ins Auge springt. Das durch sie gezeichnete Bild zielt auf die Dreizahl als Generalschlüssel von Verhältnismäßigkeit an sich ab. Im Vordergrund der Rechnung steht eine auf die Trinität bezogene Polarität. Sie strebt einer Lösung im Sinne der Höherentwicklung zu.

Die salomonische Kreisberechnung enthält bewusst einen „Fehler“. Das, was für den Wissenden im Grunde ein Generalschlüssel ist, ist für den nur im Konkreten und Linearen Denkenden eine so grobe Ungenauigkeit, dass ihm die Aussage nahezu unbrauchbar erscheint oder sogar unverständlich ist. Dass die hier vorgestellte Rechnung indes so verstanden werden soll, verrät ein in der Messschnur verborgener Zahlenzusammenhang: Die Buchstaben- alias Zahlenkombination 100-6, welche allgemein für den Begriff der Messschnur steht, wird auch für das >Lallwort< verwendet, wie es ein Betrunkener von sich gibt (s. Jes 28,10 u. 13). Das Lallen eines Betrunkenen ist eine „Vereinfachung“, eine Näherung an tiefere Inhalte, die der Betrunkene eben nur mit den ihn zur Verfügung stehenden Mitteln ausdrücken („umreißen“) kann.

Um das Problem erkennen und lösen zu können, bedarf es der sprichwörtlich gewordenen Salomonischen Weisheit. In den Augen der Subjekte besteht das Problem in der, jeder Schöpfung anhaftenden, Fehlerhaftigkeit. Die Messschnur macht da keine Ausnahme. Trotz ein und der gleichen Messschnur kommt es durch zwei verschiedene Subjekte zu zwei verschiedenen Ergebnissen, nämlich 3 und 3,1415 . Doch die Messschnur wäre nicht die salomonische Messschnur, wenn sie nicht auch zeigen würde, wie man das der Welt zugehörige „Andersartige“, d.h. das im Maß der eigenen Parameter „Irrationale“, fruchtbringend auffangen kann.

Wo anders sollte dieser Hinweis zu finden sein, als im Begriff der Messschnur selbst! Die im originalen, masoretischen Text für sie gebrauchte Schreibweise 100-6-5 (hwq) ist andersartig und weicht von der sonst üblichen Schreibweise 100-6 (wq) ab. Die Messschnur selbst konfrontiert also in besonderer Weise mit der Grundeigenschaft alles Geschöpften – dem Sondersein.

 

  1. Die „angehängte“ Fünf

Der Messschnur wird, abweichend vom Üblichen, der Buchstabe He (h) mit dem Zahlenwert 5 angehängt. Exegeten und Übersetzer deuteten den Zusatz immer wieder als einen Abschreibfehler. In Wirklichkeit hat das zusätzliche Nachstellen der Zahl 5 an etwas, welches Maß und Symbol für die Ganzheit und Vollkommenheit ist, wie hier bei der Schnur als Richtmaß, archetypische Vorbilder. Wir finden sie sowohl in der ägyptischen, als auch in der jüdischen und der christlichen Mythologie:

  • Im Jahrtausende alten ägyptischen Kalendersystem wurde das Jahr in 3 Jahreszeiten mit jeweils 4 Monaten â 30 Tagen eingeteilt. Das ergab die runde Ganzheit von 360 Tagen. Die zu den tatsächlichen 365 Tagen des Jahres fehlenden 5 Tage wurden dem letzten Monat des Jahres angehängt. Sie symbolisierten ein über die natürliche Vollkommenheit hinausgehendes Fünftes in Form eines Bewusstseins. Das ist in der Lage, die vorausgehende Vollkommenheit zu reflektieren und sie über ihre Träger, die göttlichen Subjekte, tätig nachzuvollziehen. Im ägyptischen Mythos galten die angehängten, letzten 5 Kalendertage als die Geburtstage der Götter Osiris, Horus, Seth, Isis und Nephytis.
  • Im jüdischen Schöpfungsmythos symbolisiert der „Garten Eden“ mit seinen ausführlich beschriebenen 4 Flüssen die Vollkommenheit der Schöpfung. Ihre Fortentwicklung und unaufhörliche Höherentwicklung könnte man im Bild der vollkommenen Vierzahl symbolisch mit einer stetig wachsenden Viererkette (analog 1-4-40-400-4000 usw.) beschreiben. Das macht die biblische Schrift mit der Zahlenfolge 1-4-40, die für den vollkommenen, göttlichen Erdboden (hebräisch >adama<) steht. Aus jenem vollkommenen Erdboden heraus entsteht ein Gegenüber, das erstmals diese vollkommene Existenz reflektieren kann. Das ist der Mensch. Er trägt zunächst noch den hebräischen Namen seiner Herkunft: Adam (1-4-40), der „Erdling“. Seiner Potenz nach ist er aber schon eine neue Qualität – die Fünfzahl. Dem vollkommenen Paradies (4) wird die Menschwerdung (5) „angehängt“, von der dann die gesamte Schrift erzählt. Sie berichtet von einem ständigen Niedergang ihrer Subjekte, welche trotz und durch den Niedergang die Bewusstwerdung von Subjekten zu Individuen vollziehen. Beispielsweise werden den Erzeltern aller Völker, Abraham und Sarah, aufgrund  ihrer Bewusstseinsentwicklung von der Gottheit jeweils die Zahl 5 hinzugefügt.[i] Was im einzelnen an den Subjekten gezeigt wird, gilt auch für die Thora insgesamt. Sie besteht aus 4 Büchern plus dem Buch Deuteronomium. Das 5. und letzte Buch der Fünfbücherrolle (Pentateuch) erscheint „zusätzlich angehängt“. Es enthält das sogenannte andere, zweite Gesetz und unterscheidet sich von den vorangehenden 4 Büchern bis hinein in der Art seiner Erzählung. Im Grunde ist es eine einzige große Rede des zum Individuum gereiften Subjekts Mose. Das Ende des Buches berichtet von zweierlei, vom Blick des Mose ins gelobte Land und von seinem Sterben. Dabei berichtet das göttliche Individuum von seinem eigenen Tod.
  • Das Christentum stellt die Vollkommenheit in der Vierzahl des Kreuzes vor. Sein Kalenderjahr beginnt mit dem ersten von insgesamt 4 Adventssonntagen und setzt so sichtbar die vollkommene Vierheit in Form der 4 Adventssonntage voraus, bevor der göttliche Mensch geboren werden kann.

Dessen potentiell zur Reflexion fähige Bewusstsein (5) reflektiert nicht nur den o.g. Erdboden (1-4-40), sondern aus diesem entstanden, auch sich selbst. Für die Fähigkeit der Selbstreflexion steht die Fünfzahl, welche sich auf sich selbst bezieht. Das symbolisiert den Geburtstag des göttlichen Menschen, die Zahl 25 als das Quadrat der Fünf (52 = 25).

Am Ende wird der Vierheit, dem Kreuz und Symbol der Vollkommenheit der durch 5 Wunden gezeichnete Christus „angehängt“. Das Blut der Erlösung fließt aus der 5. Wunde, der Seitenwunde.

Die Bilder erscheinen uns mitunter makaber, und doch zeichnen sie lediglich eine archetypische Ordnung auf, wie sie seit Jahrtausenden übermittelt wird. Das Anhängen der Fünf an die Vierheit geht einher mit zwei einander parallel verlaufenden Erscheinungen, einem materiellen Niedergang und einem geistigen Aufgang.

Der 25. Dezember, an dem wir heute die Geburt Christi feiern, war schon bei den Ägyptern ein besonderer Feiertag. An ihm feierten sie den „Tag der Wiedergeburt des Gottes Osiris“. Der Überlieferung nach kehrte auch bei ihnen die Sonne erst an diesem Tag um, obwohl die Ägypter sehr wohl in der Lage waren, den Sonnenlauf mit dem exakten Tag der Sonnenwende zu berechnen. Das zeigt eindrücklich das Sonnenschauspiel im Ramses-Tempel von Abu Simbel.

Am 21.-23. Juni, zur Sommersonnenwende, fällt für kurze Zeit das Licht der Sonne tief in den Tempel hinein und bestrahlt einmal im Jahr den gottgleichen Pharao. Das geschieht genau in dem Augenblick, indem die Sonne ihren „jährlichen Niedergang“ beginnt. Auch hier wird der Niedergang der Sonne mit der Erhellung des menschlichen Bewusstseins verbunden. Auch hier wird metaphorisch ein Mensch erleuchtet, der (auch) im Untergang erstrahlt. Die Bilder unterscheiden sich und berühren uns sehr unterschiedlich. Die archetypische Symbolik aber ist die gleiche.

Der natürlichen Vollkommenheit hier ist es die „Sonne in ihrem Lauf“ mit ihren 4 astronomischen Zeitpunkten wird ein Fünftes gegenübergestellt. Es wird den vier Archetypen ein neuer Archetyp „angehängt“, welcher diese Vollkommenheit (4) nun schauen und sie als Subjekt (5) in ebenso vollkommener Weise erfüllen kann.

Die Beispiele aus den Mythen der unterschiedlichen Kulturen und Religionen sind nur einige von vielen möglichen. Sie aber reichen, um uns zu zeigen, dass die Schreibweise für die Messschnur mit dem zusätzlichen „Anhängen“ der Zahl 5 weder Versehen noch Zufall ist.

Der zweite der drei „maßgebenden Sätze“ fügt die 5 hinzu (5 Ellen Höhe). Der dritte Satz fügt den Begriff der Messschnur hinzu und damit einen Zwiespalt und dessen fruchtbringende Auflösung zugleich.

Das Besondere und Abweichende der Messschnur enthält eine der wichtigen Botschaften des Salomonischen Tempels.

 

  1. Der Tempel-Baumeister das ihm Fehlende und seine Kunst

Es lohnt es sich, einen Blick auf das Subjekt der Übermittlung zu werfen, denn der Botschafter der so wichtigen Botschaft, verkörpert diese selbst:

König Salomon beauftragte mit dem legendären Tempelbau einen Bronzeschmied, Hiram von Tyrus. Der war, wie die Bibel berichtet, „der Sohn einer Witwe“ und „er war  voller Weisheit und Einsicht und Kenntnis, um jegliche Arbeit in Bronze auszuführen“ [1 Kön 7,14].  Der Sohn einer Witwe zu sein, bedeutet, jemand zu sein, dem bereits seiner natürlichen Anlage nach eine Hälfte fehlt, und der demnach von vornherein aufgefordert ist, sich über diese Natur durch das Hinzufügen eines Gegenpoles zu erheben. Der ergänzende Gegenpol zum Natürlichen (s. 1-4) ist das Künstliche – die Kunst. Der Künstler fügt ergänzend hinzu und fügt zusammen, was scheinbar nicht zusammenpasst – so auch die Bronze. Bronze ist eine Legierung, und Legierungen bestehen aus dem völligen Verbund zweier unterschiedlicher Metalle. Hiram von Tyrus, der Bronzeschmied „gießt“ ein Meer  aus Bronze! Das Flüssige wird durch das Feste dargestellt. Das Vorangehende, das Meer (Zahlenfolge 10-40) erhält durch die „übernatürliche Ergänzung“ eine völlig neue Qualität.

 

  1. Die ideale Messschnur und die konkrete Kreiszahl Pi

Die salomonische Messschnur kann nur eine neue, übergreifende Sichtweise darstellen, wenn sie auch die vorangehenden und in der Praxis bereits bewährten Sichtweisen erklären kann. Mit anderen Worten: Sie muss die Exaktheit der rechnenden Sicht ebenso verkörpern, denn ihre vom Normalen abweichende Schreibweise erklärt, wie ausgeführt, zunächst vorwiegend die geisteswissenschaftliche Sicht. Die rechnende Sicht wird aber ebenso bedient, wenn man sich nur der Mühe des exakten Rechnens unterzieht, wie es David Wilson getan hat.

David Wilson[i] setzte die zwei Schreibweisen, die durch die zusätzlich angehängte 5 angeblich falsche (100-6-5 = 111) zu der rechten und üblichen (100-6 = 106) in ihren Summen in Beziehung.  Ihr Verhältnis, 106 : 111, ist bis auf die fünfte Kommastelle identisch mit dem Verhältnis von Pi zur o.g., vordergründigen Näherungszahl 3.

111 : 106 = 1,047169              pi : 3 = 1,047166

Das überrascht vor allem den rechnenden Naturwissenschaftler, denn es zeigt ihm, dass schon die Verfasser des Alten Testaments das rechnende Element der Zahlen sehr gut beherrscht haben. Das überaus hervorstechende Fachwissen wird aber nicht einfach nur objektiv präsentiert, sondern liegt verborgen im Begriff der Messschnur. Dieser Zusammenhang enthält die eigentliche Information, denn die Messschnur stellt Beziehungen her; sie relativiert. Sie relativiert auch und vor allem Fachwissen. Diese besondere, anders geschriebene Messschnur im Tempel des Salomon fordert so zu der höchsten aller Beziehung im Sinne der Trinität auf, wie das die drei maßgebenden Sätze (s.o.) demonstrieren.

Mit anderen Worten gesagt: Die Messschnur stellt nicht nur höchstes (rechnendes) Fachwissen zur Verfügung. Sie zeigt auch seine Grenzen auf. Diese Grenzen zu überschreiten bedeutet, hochmütig und „vermessen“ zu werden.

Jeder Wissenschaftler stellt früher oder später fest, dass er rechnend an Grenzen stößt, und dass alles Messen immer nur ein Hilfsmittel ist, um ein ihm noch verborgenes, „Darüber-hinaus-Gehendes“ zu erfassen. Ähnlich ist es auch mit der Kreiszahl Pi, die hier in einem Dreierschritt beleuchtet wird: In einem ersten Schritt kommt man zu der einfachen Näherung – der 3. Für den profanen Gebrauch reicht das vielleicht auch. In einem zweiten Schritt kann man durch spezielles Fachwissen exakter ermitteln und die x-te Kommastelle errechnen. Der Wissenschaftler, der diese Methode beherrscht, der fühlt sich überlegen. Doch das ist zugleich auch das Problem für ihn, denn auch er hat trotz seiner besonderen Fähigkeiten nicht den Schritt in das (symbolische) „Darüber-hinaus-Gehende“ getan, auf das es letztlich ankommt! Er scheitert im Konkreten ebenso wie der profane Erdling – gleichwohl auf höherer Ebene.

 

  1. Von der dinglichen zur geistigen Messschnur

Dass diese Botschaft gerade in der Zahlenfolge der >Messschnur< verborgen wird, ist besonders stimmig, denn ohne Messschnur geht es nicht. Ohne eine solche würde sich kein Subjekt entwickeln können.

Auch, dass diese Botschaft bei der Ausstattung des Tempels verborgen wird, ist weitergehend in zweifacher Hinsicht stimmig. Zum einen ist die eigentliche Messschnur eine heilige (heil, ganz), d.h. eine allseits die Ganzheit ins Bild setzende. Zum anderen unterliegen auch ihre Verkünder, die Priester der gleichen Gefahr wie der o.g. wissenschaftliche Fachmann. Ein Priester, welcher beispielsweise hohle Rituale zelebriert oder reine Literaturkritik anstatt Exegese betreibt, irrt ebenso, wie der „vermessene Naturwissenschaftler“, der sich der Symbolik verschließt.

Das Gleichnis der Messschnur grenzt menschliches Tun zu zwei Richtungen hin ab, in die es irren kann. Der profane Mensch „lallt“ und irrt, weil er nicht die den Umständen geschuldete Genauigkeit findet. Der nur rechnende und ins Detail verliebte Fachmann hingegen schießt über die in den Dingen liegende Grenze hinaus, wird hochmütig und irrt endlich ebenso. Für ihn hören sich die Worte des Baumeisters noch an, wie ein Lallen. Aus der Sicht des Baumeisters aber ist das Nur-Rechnen das Lallen eines Erdlings.

Beide werden dem Anspruch der Materie (4) nicht gerecht, solange sie ihrer Botschaft nicht folgen. Materie will vergeistigt werden. Sie berichtet von einem hinter ihr stehenden Geist (3), welcher offenbar werden will. Im Bild des pythagoreischen Dreiecks bedeutet das, dass sie mit dem ihr zugrundeliegenden Geistigen in rechter Weise zusammengeführt werden soll. Das bringt dann das wahre, die Ganzheit schauende Individuum (5) hervor.

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11.0  Ein Nachtrag in „wissenschaftlicher Prosa“

Die Bibel verrät uns mit dem hier gebrauchten Begriff für Messschnur in 1Kön 7,23 den in ihm verborgenen Schlüssel zum Erlangen von Weisheit. Er besteht darin, zu lernen, mit dem Andersartigen und Irrationalen, das der geschöpften Welt stets anhaftet, in rechter und verbindlicher Weise umzugehen, ohne seinen Gefahren zu erliegen.

Die Wissenschaft nähert sich dem gleichen Problem objektiv, durch die Messung von Objekten. Dem Messen einmal voll und ganz zugewandt, erkennt sie, dass am Ende alles eine Frage des Ermessens ist.

 

11.1  Die Relativität der Objekte und die der Subjekte

Jede Messung ist relativ und ein höchst subjektiver Akt. Sie ist relativ aus zwei Gründen:

Zum einen, weil am Anfang jeder Messung eine Festlegung auf Maßstab und Methode der Messung zu erfolgen hat, und eine solche Festlegung die Relativität der maßgebenden Objekte aufnimmt. Ein Metermaß ist nicht geeignet, um den Durchmesser eines Uhrenrädchens zu messen, und eine Mikrometerschraube eignet sich nicht, die Größe eines Menschen zu bestimmen. Auch ist schon das Material des Urmeters wenig geeignet, die Wellenlänge von Lichtstrahlen zu definieren. Alle diese Beschränkungen begründen sich in den maßgebenden Objekten, denn Objekt zu sein bedeutet, beschränkt zu sein.

Zum anderen ist jede Messung relativ und subjektiv, weil sie von einem messenden Subjekt ausgeht. Das Maßgebende sind nicht nur die Objekte, welche mit dem Maßstab und der Methode einhergehen, sondern vor allem auch das messende Subjekt selbst. Seine Absicht ist wesentlich für das Ergebnis. Seine Absicht und seine Blickrichtung bestimmen den Fortgang der Entwicklung. Das Gemessene ist nie völlig getrennt vom messenden Subjekt zu sehen, auch wenn wir bei einem sehr deutlich definierten Bezugsrahmen mitunter diesen Eindruck haben.

Während wir um die Relativität und Subjektivität bezüglich der Parameter von Maßstab und Methode wissen, ist uns die ebenso vorhandene Relativität des Subjekts selten bewusst. Wir begegnen ihr mitunter, wenn wir mit einem Subjekt konfrontiert werden, dessen Absicht darin besteht, uns als Subjekt in unserer Bedeutung zurückzusetzen, wie das Künstler oder Geisteswissenschaftler hin und wieder gegenüber Naturwissenschaftlern erfahren – oder umgekehrt. Der überschaubare Bezugsrahmen führt uns in diesem Fall die Relativität der Subjekte direkt vor Augen. Anders ist das bei einem größeren Bezugsrahmen. Ein Messender hat sich im Vorfeld seiner Messung an eine vermeintlich generelle Objektivität gebunden, deren Tragweite er sich bezüglich seiner unvermeidlichen, eigenen Existenz als Subjekt nicht bewusst ist. In seinem Tun taucht er völlig in die Welt der Objekte ein und vergisst dabei seine eigene Relativität. Auf sie aber kommt es an. Das verdeutlicht uns das nachstehende Schaubild. Zu dessen Verständnis muss der Betrachter die Dreieckordnung der Zahlen kennen. Dann aber eröffnet sich ihm auf geometrische Weise die zweifache Beziehung des Subjektes.

 

11.2.  Das schauende Subjekt und seine zwei Herausforderungen

Das schauende Subjekt hat eine durch Symmetrie deutlich werdende Beziehung zur alles begründenden Ganzheit (1), und es hat eine unvermeidliche Beziehung zur Polarität (2), deren Repräsentant es selbst auch ist. Erst, wenn das schauende Subjekt (5) seine zweifache Beziehung erkennt, kann es beide Qualitäten in sich erkennen, zu einem Ganzen verbinden und sich als ein solches erleben – als ein Individuum.

Die doppelte Beziehung des Subjekts macht es notwendig, dass es sich beiden Qualitäten zuwendet und keine der beiden vernachlässigt oder ausschließt. Nur so kann es das Urgesetz der Vierzahl, das ein Gesetz der Addition ist, in sich umsetzen und sichtbar werden lassen.

 

11.3  Zwei Gefahren

Diese göttliche Forderung, das Subjekt zum Individuum reifen zu lassen, wird demnach von zwei Irrtümern und Gefahren bedroht:

  1. a) Die erste Gefahr besteht darin, die Bindung an die Objekte aufgrund der Halbwahrheit, dass alle Objekte stets beschränkt und unvollkommen sind, gar nicht erst anzunehmen.
  2. b) Die zweite Gefahr besteht darin, die eingegangenen Bindungen nicht wieder loszulassen.

Beide Gefahren werden in den zahlreichen Mythen der Welt beschrieben. Ein solcher Mythos ist der Bau des legendären, biblischen Tempels von König Salomon. Das Richtmaß des Tempels steht symbolisch für das Richtmaß der Welt. Der biblische Text stellt es exemplarisch im Begriff der Messschnur vor.

[i] David Wilson: The History of Pi, in History of Mathematics, 
Rutgers, Spring 2000 (http://www.math.rutgers.edu/~cherlin/History/Papers2000/wilson.htm)

[i] Die Subjekte Abram (1-2-200-40) und Sarah (300-200-10) werden durch „5“ individualisiert zu Abraham (1-2-5-200-40) und Sarai(300-200-5).

[i] 1Kön 7,23 in wörtlicher Übersetzung in Form der Zahlenarchetypen:

Und-er-machte /    das—Meer  /    gegossen /        10         /  in-Elle / von-seinem Rand /   zu—seinem-Rand     /   rund  / ringsum.

6-10-70-300    / 1-400—5-10-40 / 40-6-90-100 / 70-300-200/ 2-1-40-5 /    40-300-80-400-6  /  70-200—300-80-400-6 / 70-3-30 / 60-2-10-2.

 

Und-5      /   in-Elle  /   seine-Höhe  /  und-Leine /             30             /  in-Elle  / konnte-umspannen /    ihn    / ringsum.

6-400-40-300 /  2-1-40-5  / 100-6-40-400-6 / 6-100-6-5 / 300-30-300-10-40 / 2-1-40-5 /              10-60-2               / 1-400-6 / 60-2-10-2.

 

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Die Symbolik der zwei Kalenderordnungen und ihr Bezug zum Sonnenwendereignis

 

Veröffentlicht am 21. Februar 2013

  –  oder warum fällt die Wintersonnenwende am 21./22. Dezember weder mit dem Neujahrsfest am 1. Januar noch mit der Geburt Christi am 25. Dezember zusammen?

Inhaltsverzeichnis

  1. Zwei Seiten einer Münze und das sie Verbindende das Symbolische
  2. Die verbindende Aufgabe der religiösen Ordnung
  3. Die Natur: das Eine und die Zahl 4
  4. Die christliche Religion und das Subjekt (5)
  5. Die zwei Kalenderordnungen und ihr Bezug zum Ereignis der Sonnenwende

     5.1 Die Differenz zwischen Wintersonnenwende und dem 1. Januar

     5.2 Die Differenz zwischen Wintersonnenwende und dem

           „Tag der Geburt des Subjekts“ am 25. Dezember

  1. Die Kalenderordnung – die Begegnung des Subjekts mit dem scheinbar Irrationalen

 

  1. Zwei Seiten einer Münze und das sie Verbindende das Symbolische

Der Zeitpunkt der Wintersonnenwende und der Augenblick der Geburt Christi, der Geburt des geistigen Lichtes, stellen zwei unterschiedliche Arten eines Neubeginns dar. Die Festlegung des Zeitpunktes der  Wintersonnenwende ist der Versuch, den Neubeginn aus der naturwissenschaftlichen Perspektive heraus zu erfassen, während die Geburt des Lichtes in der Person des Christuskindes das Phänomen eines Neubeginns aus einer geisteswissenschaftlichen Perspektive zu erfassen versucht. Beide Perspektiven verhalten sich wie die beiden Seiten einer Münze, die als ein Ganzes begriffen werden wollen.

Das Gemeinsame beider Kalenderdaten ist, dass sie uns auf zwei verschiedene Weisen zeigen, dass das Entstehen eines Neuen das profane Bewusstsein mehr oder weniger übersteigt und dass sie uns beide nach dem grundsätzlichen Wesen jeder (Neu-) Manifestation fragen lassen.

Die Suche nach den Kalenderdaten, welche in unserem Kulturkreis während der dunklen Phase des Jahres einen Jahreswechsel und somit eine „Neu-Manifestation“ symbolisieren, führt zu vier verschiedenen. Alle stehen für einen Neubeginn:

♦  21. Dezember: Sonnenwende / die naturwissenschaftlich-faktische Sicht

♦  25. Dezember: Weihnachten  /  die Symbolgeburt des Bewusstseins

♦  01. Januar: Geburt des neuen Kalenderjahres /die Struktur der weltlichen Ordnung

♦  06. Januar:  Hochneujahr (Dreikönigstag)        /die Struktur der geistigen Ordnung

 

Dem Inhalt nach können wir bei den vier Daten zwei unterschiedliche Sichtweisen ausmachen. Grob gesehen entsprechen diese dem fleischlichen Auge einerseits und dem geistigen Auges andererseits. Trotz der Abstraktion bleibt jedoch eine grundsätzliche Differenz. Ihr gehen wir nach, und sie wird uns – wie wir noch sehen werden zu deren Sinn führen, nämlich der Erkenntnis, dass wir aus dem „Dazwischen aller Existenzen“ (s. Aufsatz „Zwei Kalenderordnungen“/ >>Link einfügen<<) nicht herauskommen, jedenfalls nicht, ohne uns das Verbindende zwischen den Existenzen zu vergegenwärtigen. Das Verbindende zu finden, aber erfordert, das Symbolische hinter den Existenzformen zu erfassen.

Der Mensch steht durch seine Existenz in der Polarität. Sein Geist aber strebt der Einheit zu. Auf seiner Suche wendet er sich notwendigerweise Einzelheiten zu. Diese aber sind immer „nur“ Formen, d.h. Repräsentanten der ursprünglichen Einheit. Immer, wenn der Mensch glaubt, eine Einheit dingfest gemacht zu haben, wird er bei genügender Vergrößerung des von ihm Gefundenen Unregelmäßigkeiten und Abweichungen entdecken. Wir kennen das Prinzip aus der Geometrie. Ein Kreis, ein Dreieck oder ein anderes symmetrisches Gebilde ist ein solches nur in der Welt der Ideen und Ideale. Analog verhält es sich mit der Ordnungssuche mit Hilfe von Kalendern. Das Andere, das vom Ideal Abweichende ist nicht aus der Welt zu schaffen. Vielmehr muss man mit ihm leben, es verstehen und endlich dazu nutzen, die Einheit in einem weiteren Grade zu offenbaren.

 

  1. Die verbindende Aufgabe der religiösen Ordnung

Aus der Vielheit der Erscheinungen heraus die alles verbindende Einheit zu offenbaren, das ist die vornehmliche Aufgabe aller Religionen. Ihr Werkzeug ist die Symbolik, insbesondere die der Zahlenarchetypen. Deshalb wird sich ihre Kalenderordnung über die Zahlenarchetypen erschließen.

Die Kirchenlehrer haben die ältere, weltliche Kalenderordnung vorgefunden. Ihre Absicht bestand nun nicht darin, diese zu korrigieren oder gar zu negieren. Sie wollten vielmehr dieser einen weiteren, erhellenden Pol gegenüberstellen, der zwei Aufgaben erfüllen musste: Zum einen sollte die religiöse Kalenderordnung zahlensymbolisch in sich stimmig wirken und zum anderen musste sie ein Verknüpfungselement zwischen den dann existierenden zwei Ordnungssystemen einsichtig werden lassen. Die Verknüpfung der Ordnungssysteme habe ich im Wesentlichen schon im Aufsatz „Zwei Kalenderordnungen“ vorgestellt. Sie entsteht u.a. dadurch, dass der 8. Lebenstag, d.h. die Oktave des erwachenden Bewusstseins zugleich der weltliche Neujahrstag ist. Hier geht es mir nun vor allem darum, die innere zahlensymbolische Stimmigkeit des Kirchenkalenders und seine Aufgabe zu verdeutlichen.

Religionen und Zahlensymbolik verbinden Gegensätze. Sie stellen Einheit her. Das Symbol für die Einheit der Gegensätze als „ein Ganzes“ ist die Zahl 12 (als „1“+2). In ihrem Sinne musste die Religion das Große, den Sonnenrhythmus (1) und das Kleine, den Mondrhythmus (2) miteinander verbinden. Deshalb gibt es im Kirchenjahr variable, auf den Mondrhythmus basierende Feiertage, deren Hochzeit Ostern ist und auf den Sonnenrhythmus basierende Festtage (d.h. stets „fest“ bleibend), deren Festzeit (im unmittelbaren und übertragenen Sinne) die Weihnachtszeit ist. Erst im Verbinden beider Existenzen, im verbindlichen Tun, entsteht bewusstes, religiöses Leben als eine neue Qualität des Bewusstseins.

  1. Die Natur:  das Eine und die Zahl 4

Der Jahresrhythmus wird von 4 natürlichen, astronomischen Zeitpunkten bestimmt. Das sind die sich zweimal im Jahreslauf ereignenden Tagundnachtgleichen am 22./23. September und 20./21. März, sowie die sich ebenfalls zweimal im Jahreslauf ereignenden Sonnenwenden am 20./21. Juni und am 21./22. Dezember.

Während die Tagundnachtgleichen, wie es ihr Name sagt, von der Ausgeglichenheit und so empfundenen Harmonie zwischen Tag und Nacht geprägt sind, bilden die zwei Sonnenwenden die Extreme dazu. Sie markieren den Tag oder die Nacht, an denen die Sonne ihren höchsten bzw. niedrigsten Stand erreicht hat und ihre scheinbare Bewegung dann wieder umkehrt.

Die Extreme sind es, welche wir nicht recht zu fassen vermögen und durch welche wir uns in unserer Existenz bedroht fühlen. Insbesondere ist es die Zunahme des Nacht-Pols, die uns scheinbar bedroht und dessen Begrenzung wir sehnlich erwarten.

Tritt dieser Augenblick dann ein, dann empfinden wir ihn als den Beginn einer Neu- und Wiedergeburt des Lebens. Wenn die Sonne ihren Tiefststand erreicht hat und „rückläufig wird“, steht sie für uns einen theoretischen Augenblick lang still. Jener Augenblick ist im Konkreten nicht wirklich greifbar, denn er kann nur in einer nichtendenden, irrationalen Zahl ausgedrückt werden. Und doch ist jener Augenblick gerade der, welcher der Wirklichkeit am nächsten kommt. Entgegen unseres Augenscheins bewegt sich die Sonne nicht wirklich, sondern steht im Zentrum des Ganzen still und bildet geradezu dieses Zentrum.

Jene ideelle, im Zentrum allen Seins stehende Ganzheit ist der „Gegenstand“ jeder Religion. Die Sonne und ihr Licht stehen für sie, und sie sind demzufolge unser größtes Mysterium. Wie uns das Gleichnis der Sonnenwende zeigt, können wir es im Konkreten aber nicht gänzlich erfassen, jedenfalls nicht mit ausschließlich dinglichen und physikalischen Parametern wie den nur zählenden Zahlen und den dem Rechnen zugeordneten Formeln. Selbst die vier gemessenen Grunddaten, die zwei Tagundnachtgleichen und die beiden Sonnenwenden erweisen sich, sobald sie gemessen werden, als variabel. Das Messen lässt uns vorübergehend auf Verlässlichkeit hoffen, entzieht sie uns aber bei genauerem Hinsehen wieder. In diesem Sinne greifbar wird uns die Welt nicht. Wohl aber lässt sie sich begreifen, sobald wir die Elemente des Geistigen hinzuziehen, jene Urtypen aller Existenzen, von denen uns die Zahlen erzählen.

Die Grundbotschaft der Zahlenqualitäten manifestiert sich in besonderer Weise in der Zahl Vier. Ihr Symbol steht für die Manifestation aller Existenzen, weshalb es einer Weltformel gleichkommt.  Auch begegnen wir der Vier erstmals bei der Analyse des Jahresrhythmus in den o.g. vier natürlichen, astronomischen Zeitpunkten, den Tagundnachtgleichen und den Sonnenwenden. Trotz der stets variablen, dinglichen Messwerte bleibt das Anfangs- und Ursymbol erhalten: eine Sonne und vier diskrete Erscheinungen! Um welche Kultur und um welche Wissenstradition es sich bei der Kalendererstellung auch immer handelt, stets basiert sie auf dieser gleichen Urordnung.

  1. Die christliche Religion und das Subjekt (5)

Ein Neubeginn ist nicht einfach nur das Hervortreten einer neuen Qualität. Das Hervortreten bedeutet vor allem dessen Wahrnehmen und das erfolgt immer durch das schauende Subjekt. Für dieses schauende Subjekt steht die Zahl 5. Sie, die Zahl 5, das schauende Subjekt aber ist selbst zweifacher Herkunft und muss, um die Dinge im Außen einen zu können, seine beiden Herkunftsqualitäten, das Ganze (1) und das Gebrochene (2) alias Geist und Materie in sich vereinen. Dazu muss es zunächst selbst einen Transformationsprozess durchschreiten. Das Subjekt muss das Nur-Subjektive als das es sich zunächst begreift, mit Hilfe seiner Subjektivität überwachsen. Mit anderen Worten: Es muss vom Subjekt zum Individuum, zum „Ungeteilten“ werden. Das ist ein Akt der Wahrhaftigkeit. Zahlensymbolisch steht dafür das Prinzip des Quadrierens. Konkret wird dabei aus der 5 eine 25 (52). Die Geburt des sich seiner selbst bewusst werdenden Subjektes, alias des sich selbstreflektierenden Lichtes, musste deshalb auf den 25. Dezember gelegt werden. Die 25 ist etwas „Besonderes und Einmaliges“. In der Reihe der Zahlen verwirklicht sie als solche die ureigene Qualität der Primzahlen, ohne hingegen selbst eine solche zu sein oder sein zu müssen. Die 25 ist etwas Besonderes eben gerade dadurch, dass sie nichts Besonderes mehr sein will! Das erhebt sie noch über die Primzahlen, die endlich „doch nur alle Primzahlen sind“. Ich habe die Zahl 25 deshalb in meinem Buch einmal die Superprime genannt (s. S. 175). Die 25 eröffnet den Weg des Gottesmenschen, der über die Vierheit des Kreuzes, die Ohnmacht einschließend, der noch höheren Macht teilhaftig wird.

Der Weg dorthin geht über das Konkrete und erschließt schließlich das höhere Geistige. Er wird u.a. auch im Verhältnis der beiden Kalenderordnungen symbolisch sichtbar gemacht. Die 25 nimmt, wie wir im Einzelnen noch sehen werden, im christlichen Kalender eine Mittlerrolle ein zwischen der von der Natur vorgegebenen Sonnenwende und dem vom Subjekt bestimmten Neujahrsbeginn.

Jeder Kalender beginnt mit der Festlegung des Neujahrtages. Die Festlegung ist weitgehend subjektiv und sie erfolgte in den Kulturen entsprechend unterschiedlich. Hinter dem „ersten Datum“ verbirgt sich aber stets ein System von Symbolen, das seinerseits auf die Ursymbolik der Zahlen zurückgeführt werden kann. Hier nun wollen wir einen Blick auf das Symbolsystem unserer römisch-christlichen Tradition werfen, in welcher der 1. Januar zum Jahresbeginn wurde.

Nach dem noch älteren, antiken römischen Kalender war der 1. März der Neujahrsbeginn. Im Jahr 153  v. Chr. wurde er verlegt auf den 1. Januar. An dem nun neuen „ersten Tag“ traten die höchsten Konsuln ihr Amt an. Der Amtsantritt entsprach einer „Erstmanifestation“. Entsprechend prägten die Konsuln mit ihren Namen dann die Jahre. 200 Jahre später (46  n. Chr.) wurde der 1. Januar auch im römischen Kalender endgültig und offiziell als Jahresbeginn festgeschrieben. Schon damals wurde der Neujahrstag mit ausschweifenden Feierlichkeiten mit Ess- und Trinkgelagen begangen.

Trotz der frühen, römischen Festlegung des Jahresbeginns auf den 1. Januar entwickelten sich viele andere und unterschiedliche Vorstellungen von einem „ersten, maßgebenden Tag“ im Jahreslauf. Erst 1691 beendete Papst Innozenz XII. die bis dahin unterschiedlichen Handhabungen der Jahreszählung und setzte wieder den 1. Januar amtlich als Jahresbeginn fest.

 

  1. Die zwei Kalenderordnungen und ihr Bezug zum Ereignis der Sonnenwende

Die Gegenüberstellung der beiden Kalenderordnungen eröffnet nahezu nur Differenzen. Um dennoch Gemeinsamkeiten zu entdecken und nachvollziehbar zu machen, bedarf es der nachfolgenden Abbildung:

5.1 Die Differenz zwischen Wintersonnenwende und dem 1. Januar

Beim ersten Blick auf die sogenannte weltliche Kalenderordnung erscheint es unverständlich, weshalb nicht unmittelbar die Wintersonnenwende als Jahresbeginn definiert wurde, sondern der erst 10 Tage später fallende 1. Januar. Die Wintersonnenwende wäre als eine der vier natürlichen Jahreslaufdaten von jedem nachvollziehbar. Der Grund besteht darin, dass sich bei genauerem Hinsehen, alle vier Daten in einem geringen Umfang als variabel erweisen. Doch wissen wir auch, dass sie alle vier zusammengehören und ein Ganzes bilden. Das wahrnehmende Subjekt erschaut mehr als es zu messen vermag und spielt bei all dem eine entscheidende Rolle. Auch empfinden wir subjektiv, dass die Wintersonnenwende eine besondere Bedrückungssituation hervorruft. Beide Umstände, die uns Hoffnung gebende aber sich uns dennoch entziehenden Daten der Vierheit und der ebenso bedrückende dunkle Pol der dunkelsten Nacht, verweisen auf das dies alles wahrnehmende Subjekt, das in seiner Qualität darüber hinausgeht und mehr sieht. Nichts anderes als das Subjekt ist es, welches durch seine Schau, seine Sichtweise, den Fortgang der Entwicklung manifestiert. So, wie das Subjekt die Dinge festlegt, so wird Entwicklung geschehen. Waren die vier messbaren Daten noch variabel, so entsteht durch das festlegende Subjekt nun ein „Festtag“ im eigentlichen Wortsinn. Seine Existenz prägt alles Kommende. In der antiken römischen Ordnung waren das die Konsuln am 1. Januar (s.o.), in der christlichen Ordnung ist das die Geburt des Lichtes am 25.12.

Mit der bewussten Entscheidung erwählt das Subjekt eine neue, diesmal „feste“ Qualität. Nicht mehr Zeit und Minute stehen im Vordergrund, sondern der Umstand als solcher, der Augenblick des Subjekts.

Zwischen dem Wahrnehmen der dunkelsten aller Nächte (Sonnenwende) und der „Nacht des Jahres-Aufgangs“ (1. Januar) liegen „10 ganze Tage“. Erst nach deren Erscheinen wird die einst bedrohende, dunkle Nacht zur Festnacht und zum echten Neubeginn. Erst wenn das Subjekt die Ganzheit (1 bis 10) schaut und die Andersheit und Dunkelheit den ihr gebührenden Platz in dieser Ganzheit erteilt, dann ist Festzeit. Sobald das geschehen ist, wird aus der „Nacht 1“ (21./22) die „Nacht 11“ (31.12/01.01). In der nun neuen, gewandelten Nacht ist der andere, dunkle und vermeintlich böse Pol nicht mehr ein bedrückender, sondern ein die Polarität (1-1) und Ganzheit (1) überschauender. Gemäß dem Archetyp der Zahl 11, der für Polarität und Symmetrie steht, wird die Polarität als eine Zweiheit vor dem Hintergrund eines symmetrischen Verhältnisses begriffen, der alle Teile auf die Einheit bezieht. In dieser 11. Nacht, der Silvesternacht, beginnt der Januar, eine neue Qualität. Ihr Namensgeber ist der doppelköpfige Gott Janus, der nach zwei Seiten schauenden Gott des Anfangs.

 

5.2  Die Differenz zwischen Wintersonnenwende und dem „Tag der Geburt des Subjekts“ am 25. Dezember

Um die Frage zu beantworten, welche Ur-Beziehung zwischen dem natürlichen Sonnenwendereignis am 20./21. Dezember und dem „Tag der Geburt des Subjekts“ am 25. Dezember besteht, müssen wir wissen, welche Aufgabe die Religion hat. Die Aufgabe der Religion ist das Zusammenbringen und Zusammenhalten der scheinbar unvereinbaren Pole. Solche sind u.a. Materie und Geist, alias Welt und Religion. Um „Dinge zu einen, die scheinbar keinerlei Verbindungen zueinander haben“ (s. Pythagoras) muss zunächst deren Spannung zueinander deutlich werden. Das erreicht die Religion, indem sie der weltlichen, d.h. dinglichen Ordnung exemplarisch eine tiefergreifende, geistige Ordnung hinzufügt. Erst in der Verbindung beider kann deren fruchtbare Zusammengehörigkeit aufgedeckt werden.

Näheres dazu habe ich im Aufsatz „Zwei Kalenderordnungen“ dargelegt. Hier nun soll weiterführend gezeigt werden, wie der „Tag der Geburt des Lichtes“, der 25.12. zum verbindenden Glied zwischen den natürlichen Gegebenheiten der Sonnenwende einerseits und dem „Tag der Geburt des neuen Jahres“ (1. Januar) andererseits werden kann.

Die weltliche Ordnung macht die 11. Nacht zur Silvesternacht und stellt prinzipiell der 1. und dunkelsten Nacht die Nacht der erkannten und somit „erlösten Polarität“ gegenüber. Das Erkennen und daraus hervorgehende Erwählen ist ein Bewusstseinsakt des Subjektes, welcher die Zukunft prägt. Die Amtseinführung der Konsuln im antiken Rom am 1. Januar setzt das ins Bild. Auf diese Weise wird die unverzichtbare Rolle des Subjektes bei der Manifestation eines Ersten und Festen deutlich gemacht. Seine ganzheitliche (göttliche) Herkunft, Würde und Schöpferkraft kommt so zum Ausdruck.

Die aus dem Subjekt heraus erfolgende Festschreibung begründet sich in dessen Fähigkeit, sowohl die Ganzheit, als auch die Gebrochenheit als Ganzes in den Blick nehmen zu können. In der Beziehung des Sonnenwendereignisses am 20.12/21.12.  zum Neujahrstag am 01.01. wird das, wie beschrieben, durch die Zehnzahl der zwischen ihnen liegenden Tage erklärt. Die Zehn ist eine zweifache Fünf. Die Fünf ist das schauende Subjekt. Seine Sicht ist notwendig einseitig. In der Zehn tritt die ihr fehlende, polare Sicht hinzu. Das erst macht die Sicht zur wahren „Einsicht“. Die Zahl Eins entfaltet durch sie ihren vollkommenen Charakter. Am Neujahrstag manifestiert sich jene Qualität. Ab diesem Tag soll das Individuum, das sich selbst reflektierende Ungeteilte, in der Lage sein, in einer zweifachen und verbindlichen Weise, die Ganzheit der Schöpfung sehen zu können.

Der Symbolik des 01.01., welche von den zwei Seiten des Subjekts geprägt ist, geht eine einfache Symbolik voran, welche die Beziehung des gleichen Subjekts zum Sonnenwendereignis definiert. Sie wird mit dem auf den 25.12. festgelegten Weihnachtsfest ins Bild gesetzt.

Die Religion versucht mit dieser Terminierung die näheren Zusammenhänge und Gesetze, aus welchen heraus das Subjekt überhaupt entsteht, zu erhellen. Indem sie die Geburt des schauenden, göttlichen Subjektes auf den 25. Dezember vorverlegt, wird das Subjekt in Beziehung zu einer alles grundlegenden Vierheit gebracht, denn als Folge dieser Festlegung wird die vierte Nacht zur heiligen Nacht.

In der neuen, verfeinerten Ordnung erhält die Vierzahl das entscheidende Gewicht. Der Geburt des göttlichen Subjektes geht etwas voraus, welches sodann in der vierten Nacht manifest wird. Das Subjekt und dessen Bewusstsein ist in dieser Ordnung nun eine notwendige Folge der vorangehenden Vierzahl. Das Subjekt (5) steht nicht mehr außerhalb sondern innerhalb eines Gesetzes (1-4).

Was am 1. Januar mit der Entscheidung der Konsuln noch dem Zufall nahestand, erhält mit der Erklärung des 25.12. aus dem Gesetz der Vierheit einen gesetzlichen Rahmen. Der Zufall wird nicht abgeschafft aber einem Gesetz unterordnet und umfassender verstanden. Die Entstehung des Subjektes und seines Bewusstseins ist alles andere als Zufall. Sie ist Gesetz und dieses Gesetz begründet sich in der Vierzahl. Deshalb beginnt das Kirchenjahr mit dem ersten von vier Adventssonntagen. An deren Ende steht die Geburt der Fünfheit. Den immer dunkler werdenden 4 Sonntagen folgt die Geburt des Lichtes (5). Die Vierheit der Adventssonntage konzentriert sich noch einmal in den 4 dunklen Nächten vor der Geburt des Lichtes. Mit ihm beginnen die Tage des nach und nach erwachenden Bewusstseins.

Vor der Geburt des Bewusstseins existiert bereits sowohl die göttliche Vollkommenheit als auch deren unentwegte Fortentwicklung. Im natürlichen Jahresrhythmus symbolisieren das die 4 diskreten, astronomischen Zeitpunkte im Sonnenlauf. Im christlichen Kalender sollen das die 4 Adventssonntage bzw. die 4 Nächte vor dem 25.12. verdeutlichen. Der jüdische Schöpfungsmythos beschreibt diesen „Paradieszustand“ wiederum mit dem symbolischen Garten Eden und seinen 4 Flüssen. Immer ist der Ausgangspunkt die Vollkommenheit der Vierzahl. Die Fortentwicklung solcher Vollkommenheit noch vor dem Auftauchen des Bewusstseins (5) könnte man mit der unaufhörlichen Höherentwicklung der Vierheit beschreiben (analog 1-4-40-400-4000 usw.). Diese Art Vollkommenheit wird in der biblischen Zahlenfolge 1-4-40, welche für den vollkommenen, göttlichen Erdboden (hebräisch >adama<) steht, ausgedrückt.

Aus jenem vollkommenen Erdboden heraus entsteht ein Gegenpol, der erstmals diese vollkommene Existenz reflektieren kann. Das ist der Mensch, ein „Erdling“, der zunächst noch den hebräischen Namen seiner Herkunft trägt: Adam (1-4-40). Seiner Potenz nach ist er aber schon eine neue Qualität – eben die Fünfzahl. Die Bewusstseinsentwicklung des Erdlings beginnt in dem Augenblick, in dem er den Garten Eden („Wonne“) verlässt, ihm polar gegenübertritt und die Polarität reflektieren lernt. Das nun potentiell zur Reflexion fähige Bewusstsein (5) reflektiert nicht nur den Erdboden sondern aus diesem entstanden, auch sich selbst. Für die Fähigkeit der Selbstreflexion steht die Fünfzahl, welche sich auf sich selbst bezieht. Das symbolisiert die Zahl 25 als das Quadrat der Fünf (52 = 25).

Mit der Geburt des Lichtes (Bewusstseins) beginnt eine Bewusstseinsentwicklung. Ihre Phasen werden in der heiligen Schrift sukzessive dargelegt. Die christliche Kalenderordnung versucht diese Phasen mit den Zahlen der Daten symbolisch einzufangen. So gilt beispielsweise der 8. Lebenstag nach dem jüdischen Gebot als der Tag der Beschneidung des Jesuskindes. Der 8. Lebenstag ist zugleich der 1. Januar, der Tag der weltlichen Neugeburt. Was „in die Welt hinein geboren wird“, das ist notwendigerweise begrenzt und durch die notwendige Begrenzung auch ausgerichtet. Ausgerichtet sein bedeutet in der Terminologie des Menschlichen, orientiert zu sein. Für diese Qualität steht die Zahl Acht. Im Judentum werden die Kinder jeweils am 8. Tag beschnitten.

Der Neujahrstag (1.1.) manifestiert die Welt neu. Die Zahl der Manifestation ist die Vier.  Die Acht steht für die Manifestation in einer neuen, höheren und zweifachen Weise. Durch sie wird Materielles und Geistiges manifestiert. Das Ritual der Beschneidung setzt  diese Qualität ins Bild.

Der 1. Januar ist im Heiligenkalender der katholischen Kirche das Hochfest der heiligen Gottesmutter Maria. Das die Ganzheit gebärende Mutterprinzip Maria steht für die Zahl 4. Sie manifestiert Neues, indem sie nicht nur Gewöhnliches gebärt, sondern zugleich den neuen Geist. Wenn die Kirchenlehrer das Hochfest der heiligen Gottesmutter Maria auf den 1. des Jahres fallen lassen, dann soll das die unauflösliche Verbindung der Qualitäten der Zahlen 1 und 4 symbolisieren. Wir kennen sie als das Weltgesetz 1-4.

Die Entwicklung des erwachenden Bewusstseins endet nicht am 8. Tag sondern geht weiter. Am 13. Lebenstag geschieht wiederum eine Neumanifestation. Die Zahl 13 ist aus theosophischer Perspektive (13 „=“ 1 + 3 = 4) auch eine Ausformung der Vierzahl. Die diesmalige, der Manifestation geschuldete „Beschneidung“ ist keine körperliche mehr, sondern nun eine höherer, d.h. geistiger Art. Im 13. Lebensjahr wurde Ismael, der Urvater aller Muslime beschnitten und am gleichen Tag auch Abraham, der Urvater der drei großen Religionen, Judentum, Christentum und Islam (Gen 17,25 f)[i].

Der 13. Lebenstag im Leben des christlichen Bewusstseins ist der 06. Januar, der Dreikönigstag oder auch Hochneujahr genannt. Er gilt auch als der Tag der Taufe Christi. Mit dieser Neugeburt wird das christliche Bewusstsein im Glauben orientiert. Bis zu dieser Neuorientierung am 06.01., dem Hochneujahr, sind dann seit Geburt 12 Nächte vergangen. Sie gelten als die sogenannten 12 Raunächte, in denen das erwachende Bewusstsein vielen Spannungen und Gefahren ausgesetzt ist (s. Aufsatz „Zwei Kalenderordnungen“).

 

  1. Die Kalenderordnung – die Begegnung des Subjekts mit dem scheinbar Irrationalen

So sehr der Mensch zur Orientierung auch eine Kalenderordnung braucht, so schwierig gestaltet sich deren Festlegung, denn sie stößt auf das Grundproblem jeder Existenz: Je genauer man die Dinge in zählender Weise „dingfest“ machen will, um so mehr entziehen sie sich diesem Vorhaben. Das gilt für die moderne Physik, ebenso wie für die Grundlagen der Kalenderordnung. Letztere basiert auf drei von der Natur vorgegeben Grundrhythmen, dem Tag als Folge der Erdrotation um die eigene Achse, dem Monat als die zyklische Veränderung des Mondes und dem Jahr als Folge des Erdumlaufes um die Sonne. Alle drei Grundrhythmen sind nicht wirklich konstant. Sie variieren und stehen vor allem untereinander in keiner einfachen mathematischen Beziehung. Die rechnende Methode allein führt daher zu keiner eindeutigen und unproblematischen Kalenderordnung. Ohne eine vom Subjekt vorzunehmende Erwählung finden wir keine solche. Die Kriterien, die zur Entwicklung der christlichen Kalenderordnung geführt haben, basieren, wie wir sehen können, auf den Qualitäten der Zahlen.

Man kann bei den angeführten Argumenten es kaum dem Zufall zurechnen, dass unter all den entstandenen Kalenderordnungen sich weltweit gerade die Kalenderordnung durchgesetzt hat, welche auf dem christlichen Glauben und auf dem Dezimalsystem beruht.

Das Kirchenjahr ist eine relativ späte Entwicklung. Doch es basiert auf natürlichen, qualitativen Gegebenheiten, welche schon vor Jahrtausenden bemerkt und rituell verarbeitet wurden. So war der 25. Dezember, an dem wir heute die Geburt Christi feiern, schon bei den Ägyptern ein besonderer Feiertag. Sie nannten ihn den „26. Chojak,“ den „Tag der Wiedergeburt des Gottes Osiris“. Der Überlieferung nach schien die Sonne an diesem Tag umzukehren. Die Parallele zum Mythos der Geburt des christlichen Gottessohnes ist kein Zufall. Die Ägypter beriefen sich auf die gleichen Zahlsymbole.

Im Jahrtausende alten ägyptischen Kalendersystem zählte das Jahr schon 365 Tage. Alle 4 Jahre gab es ein Schaltjahr. Das Jahr wurde in 3 Jahreszeiten mit jeweils 4 Monaten â 30 Tagen eingeteilt. Die zu den insgesamt 365 Tagen fehlenden 5 Tage wurden dem letzten Monat des Jahres angehängt. Am Ende der von der Natur vorgegebenen Vollkommenheit stand wiederum die Fünfzahl. Sie symbolisiert ein über-die-Natur-Hinausgehendes. Die Fünfzahl steht für das die Ganzheit reflektierende Bewusstsein. Im Mythos ist das die „Geburt des göttlichen Subjekts“ und so galten im ägyptischen Kalender die letzten 5 Tage als die Geburtstage der Götter Osiris, Horus, Seth, Isis und Nephytis.

Das sich und die Ganzheit reflektierende Bewusstsein (5) wird immer sogleich konfrontiert mit der Polarität der Polarität von Subjekt und seinem Gegensubjekt. Der Osiris-Mythos problematisiert die daraus entstehenden Gesetze der Reibung. Der Mythos endet mit der Wiedererstellung der Ganzheit indem die vermeintliche böse Halbheit in das größere Ganze integriert wird. Für die endlich notwendige, fruchtbare Verschmelzung von Individualität (+5) und Gegenindividualität (-5) stehen viele Zahlensymbole. Der Osiris-Mythos bedient sich der Zahl 14. Im jüdisch-christlichen Mythos steht für diese höhere Ganzheit der Gottesname JHWH mit seiner Zahlensymbolik 10 = 5 + 5, wie sie im Dekalog (10 Gebote) ausgeführt wird.

Die Ägypter kannten die im Dekalog dezidiert zweifach begründete und noch heute gültige 7tägige Woche zwar noch nicht. Sie kannten anstatt des Siebener-Rhythmus den 10tägigen Dekan. Doch die im Osiris-Mythos symbolisch beschriebene Ganzheit bedient sich der Zahl 14. Die Zahl 14 macht zweierlei: Sie bedient sich zum einen in ihren Teilen der bekannten Symbole 1 und 4 und sie symbolisiert zum anderen die Ganzheit durch eine Zweiheit – die zweifache Siebenheit.

Die hinter den verschiedenen Kalenderordnungen stehenden Zahlensymbole weisen zueinander formale Unterschiede auf.  Hinter allen aber steht ein und das gleiche Grundthema: die Eingliederung des zur Welt der Schöpfung gehörenden negativen Pols. Das Nichtberechenbare und Irrationale, das scheinbar die Ganzheit Bedrohende soll vom Bewusstsein eingefangen werden.

Besonders eindrücklich haben die Ägypter diese hohe Aufgabe im Ramses-Tempel in Abu Simbel zur Anschauung gebracht. Am 21.-23. Juni, zur Sommersonnenwende, fällt für kurze Zeit das Licht der Sonne tief in den Tempel hinein und bestrahlt einmal im Jahr den gottgleichen Pharao. Das geschieht genau in dem Augenblick, indem die Sonne ihren „jährlichen Niedergang“ beginnt. Der Niedergang der Sonne wird in diesem Schauspiel mit der Erhellung des Bewusstseins verbunden. Man könnte metaphorisch sagen, dass der Mensch erleuchtet wird, der (auch) im Untergang erstrahlt.

Die Natur spricht den Menschen konkret an. Wendet er sich ihr aber zu, so erweist sie sich als relativ und in endlicher Konsequenz als „unkonkret“ und „ungreifbar“. Das genügt den Menschen nicht. Im Schauspiel von Abu Simbel antwortet der Mensch auf die Ansprache der Natur mit dem „Über-Natürlichen“. Was er von der Natur als Untergang des Lichtes erfährt, das verwandelt er zu einem inneren Aufgang des Lichtes. Im „Über-Natürlichen“, der Kunst im weitesten Sinn, findet er Heimat.

[i]Und sein Sohn Ismael war dreizehn Jahre alt, als er am Fleisch seiner Vorhaut beschnitten wurde. So wurden an eben diesem Tag Abraham und sein Sohn Ismael beschnitten und alle Männer seines Hauses, der im Haus geborene und der von einem Fremden für Geld gekaufte  wurden mit ihm beschnitten.“  (Gen 17,25f)

Die Gleichsetzung von „Jahr und Tag“ (13. Lebensjahr und „am gleichen Tag“), „Vater und Sohn“, „freibestimmten Subjekt und Sklave“ sowie „Subjekt und Objekt“, drücken die Einheit der Gegensätze alias „Ganzheit und Halbheit“ aus.

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Die wahre Bedeutung der Zahlen in Wissenschaft und Religion

 

Veröffentlicht am 14. Januar 2013

Es handelt sich bei dem nachfolgenden Text um einen die Zahlen betreffenden Auszug aus einem umfangreicheren Aufsatz. Michael StelznerBedeutung der Zahlen als das Verbindende von Wissenschaft und Mystik in Anknüpfung an die jüdisch-kabbalistische Tradition, ein Beitrag anlässlich der Tagung „Von der Wissenschaft zur Mystik“ an der „Universidad de la mística“ Ávila vom 2.-6. Oktober 2008, veröffentlicht in: Aufgang, Jahrbuch für Denken, Dichten, Musik,  6/2009, Verlag Kohlhammer, herausgegeben von José Sánchez de Murillo, Martin Thurner     (Link zum GesamtText z.Zt. in Vorbereitung)

(gekürzt) Erst wenn sich jemand, die Sprache der Zeit sprechend, finden würde, dessen Verzweiflung und Wahrhaftigkeit groß genug wären, um die Einheit der Extreme zuzulassen, wäre Kommunikation möglich. Dass es solche Wissenschaftler gibt, lässt ein Vorwort Erwin Schrödingers nach Erhalt des Nobelpreises, angesichts der erschütternden Wirklichkeiten in der Quantenmechanik, hoffen: „Ich sehe keinen einzigen Ausweg aus dem Dilemma wenn wir unser wahres Ziel nicht für immer verlieren wollen -, als dass sich einige von uns an die Synthese von Fakten und Theorien heranwagen, wenn auch mit übernommenem und unvollkommenem Wissen und mit dem Risiko, sich lächerlich zu machen.“ [1]

Der Versuch einer Synthese kann trotz allem nur in der Sprache die wir sprechen beginnen, und das ist heute die wissenschaftliche. Wenngleich die Wissenschaft bezüglich des Subjektes und seines offensichtlich mächtigen Bewusstseins bisher versagt hat, so basiert sie dennoch auf dem Privileg des Menschen, mithilfe der Vernunft Einheit sichtbar werden zu lassen. Daher nährt sich die Hoffnung, auf dem für viele der Trockenheit einer Wüste gleichenden wissenschaftlichen Terrain ein Rinnsal zu entdecken, dass die Verbindung zum anderen Extrem, dem Ozeanischen herstellt. Wenn wir die Wissenschaften mit der Mystik in Verbindung bringen, dann bringen wir Extreme in Verbindung, dann bringen wir Dinge in Verbindung, die das sind, was sie sind, weil sie sich zunächst einmal gegenseitig ausgeschlossen hatten. Es war Pythagoras, der solche Vernunft beschrieb: „Das Gleichnis dessen, der die höchste Vernunft besitzt, ist und kann nur die Fähigkeit sein, die Beziehungen zu erkennen, die auch Dinge einen, die scheinbar keinerlei Verbindungen zueinander haben.“ Er hinterließ uns zudem die Instrumente des Verbindens in dem Satz „Alles ist Zahl“. Die Zahl gehört zwei sich zu einander komplementär verhaltender Welten an, der Welt des Objektiven und der Welt des Subjektiven, der quantitativen Welt der Mathematiker und der sinnstiftenden Welt der Qualitäten, kurzum der konkreten Welt und der Welt der Ideen. Die Zahl zählt und erzählt gleichermaßen.

(gekürzt)    Bei der Suche nach den Ursprüngen der jüdischen Theologie und ihrer Kabbala wird als deren Voraussetzung immer wieder das Erbe der Kulttheologie betont.[2] Das stellt die erzählende Seite der Zahl unter den Verdacht, lediglich ein Relikt aus ihr zu sein. Zweifelsfrei führten die frühen mythischen Weltbilder zu einem komplexen System kultischer Vorstellungen, in denen man die Schöpfung und ihre Ordnung in einer Kultordnung und einem Kultkalender einzufangen versuchte. So konnte sich der Mensch selbst in die Ordnung einfügen von der alles Gedeihen abhing. Bei diesen geschichtlichen Darstellungen beeindruckt die praktisch-kultische Unterwerfung des Menschen immer wieder so sehr, dass dabei die Frage nach dem tieferen Wirkungszusammenhang zwischen Himmel und Erde unter gleichzeitiger Einbeziehung der Macht des Subjektes fast immer vergessen wird. Vor allem vergisst man dabei, dass ein Wirkungszusammenhang von der zumeist nicht mehr gestellten Frage abhängt, ob es eine geregelte Komposition von Bedeutungseinheiten (Welt der Ideen) gibt, die hinter ihm steht. Wer nach der Urordnung, nach der Quelle der Schöpfung sucht, der stößt zunächst auf die Metaphorik und dann unausweichlich auf die Zahlen. Die heiligen Schriften der Religionen und die Schöpfungsmythen sind interpretationsabhängig und oft widersprüchlich. Immer aber beziehen sich die Schöpfungsworte auf Zahlenzusammenhänge kein Schöpfungsmythos, der bei der Beschreibung der Urordnung nicht auf Zahlenverhältnisse zurückgreifen würde. Dazu kommt die Tatsache, dass Zahlen älter sind als Worte.

Am deutlichsten wird das in der Religion der Maya, in der die einzelnen Götter mit Zahlen einfach identisch sind.[3] Auch die Genesis stellt dem gesamten biblischen Kanon eine Schöpfungsordnung voran, die mit der Ordnung der fortlaufenden Zahlen identisch ist. Selbst das ethische Grundgesetz der Thora, der Dekalog wird, wie es sein Name ausdrücklich sagt, mit der Zahl, vornehmlich mit den 10 Schöpfungsworten in Verbindung gebracht. Eine solch frühe „Kabbala“ entspricht ihrem Grundgedanken nach der Philosophie Platons. Sie setzt wie diese darauf, dass sich die Natur allen Seins auf klare, rationale Strukturen zurückführen lässt.

Der alte und neue Zahlbegriff

Wir haben heute den Zahlbegriff auf das Quantitative, das Zählende reduziert und zu dem Erzählenden, den qualitativen Vorstellungen keinen Zugang mehr. Das Theoriesystem dahinter liefert jedoch beindruckend geordnete, theosophische Gedanken aus denen auch die Mythen gewebt sind. Die Mythen entziehen sich einerseits bis heute allen bisher bekannten phänomenologischen Untersuchungsmethoden. Andererseits verweisen sie auf präexistente Gegebenheiten, also Dinge, die schon vor der Weltschöpfung existierten. Wegen ihrer grundlegenden Qualität sahen C.G. Jung und M. Eliade in ihnen eine Erhärtung ihrer These von den Archetypen der Psyche. Am Ende seines Lebens hat auch C.G. Jung die Quintessenz aus der Suche nach den Archetypen gezogen und in den natürlichen Zahlen „dasjenige Element gesehen, welches die Bereiche von Psyche und Materie gemeinsam anordnet“.[4]Deren Erforschung trug er zwei Jahre vor seinem Tod seiner engsten Mitarbeiterin, Marie-Luise von Franz als Vermächtnis auf.[5]

Die qualitative, die erzählende Seite der Zahlen ist unserer Zeit fremd. Doch beschäftigen wir uns mit ihr ernsthaft, dann könnte man regelrecht erschrecken vor den Hinweisen großer Geister, die den Zahlen eigene Entitäten und die Schlüsselrolle der Erkenntnisfähigkeit zukommen lassen.

Es war nicht nur Leibniz[6], der ihnen schon in seiner ersten Schrift die prästabilisierende Harmonie des Ganzen zuschrieb. Wolfgang Pauli[7], Henri Poincaré[8], Hermann Weyl[9], oder Philip J. Davis[10] haben immer wieder hervorgehoben, dass die natürlichen Zahlen »Persönlichkeit« und einen »individuellen Charakter« besitzen, also keineswegs nur künstliche oder erfundene Ordnungen sind. Werner Heisenberg[11] zeigte nicht nur großes Interesse am Pythagoreischen Zahlenprinzip sondern hat in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit der Zahl als solche oft genug unterstrichen. Auch Heinrich Hertz bemerkte, dass man sich dem Eindruck nicht entziehen könne, dass mathematische Formeln ein eigenes Leben und eigene Intelligenz besäßen und dass sie weiser seien als ihre Entdecker, „indem man mehr aus ihnen herausholen könne, als wir ursprünglich in sie hineingelegt hätten“.[12]

Der Eindruck, dass die Zahlen das ordnende Band des Weltenbaues, also eine Art Betriebsprogramm der Evolution sind, gehört keineswegs der Vergangenheit an sondern drängt sich heute mehr denn je vielen Naturwissenschaftlern auf. Auch wenn die so auf die Zahlen Aufmerksam-Gewordenen aus ihrem naturwissenschaftlichen Kontext heraus allein nicht mehr herauszuholen vermögen, so führt sie ihre konsequente Denkweise hin zu Platons »Anschauung der wahren Natur der Zahlen« (s. nachfolgendes Platon-Zitat). Zwei Zitate sollen das erhellen:

Sir Roger Penrose, Rouse-Ball-Professor für Mathematik an der Universität Oxford hält die platonische Sichtweise für zwingend und spricht von einem sogenannten „nicht-rechnerischen, aber wissenschaftlichen Element“, das uns „zu wahrer Erkenntnisbefähigt“. Penrose folgt Platon und verlangt, seine Ideen zu ergründen: „Ich hoffe, die Leser von der engen und wesentlichen Beziehung zwischen der platonischen Welt und der Welt der physikalischen Objekte überzeugt zu haben. Allein das Vorhandensein dieser außerordentlichen weiterhin zutiefst rätselhaften Beziehung wird, so hoffe ich, den Skeptikern helfen, die platonische „Welt“ vielleicht etwas ernster zu nehmen als zuvor. Möglicherweise werden einige auch weitergehen als ich es mit diesen Überlegungen tun wollte.“[13]

Von John D. Barrow, Prof. für Astronomie an der Universität von Sussex in Brighton, hören wir: „Naturwissenschaftler glauben daran, dass es ein Universum mit einer einzigen allgemeingültigen Gesetzgebung gibt, die letztlich allen Unterabteilungen der Naturwissenschaft die Marschbefehle erteilt. In den letzten Jahren ist die Suche nach dieser einen „Theorie für Alles“ zum heiligen Gral der Grundlagenwissenschaften geworden. Wenn sie gefunden ist, wird ihr Inhalt logisch konsistente Mathematik sein. Was aber ist Mathematik, und warum vermuten wir in ihr das Geheimnis des Weltalls? Warum suchen wir die Antworten auf die letzten Fragen über das Wesen der physikalischen Wirklichkeit in der Mathematik? Was ist überhaupt Mathematik, und warum bewährt sie sich? Wenn wir diese Frage nicht beantworten können, beruhen unsere wissenschaftlichen Erklärungen letztlich auf Dingen, die wir nicht verstehen, auf den unfassbaren Geheimnissen, die hinter den unangreifbaren Zinnen eines Luftschlosses liegen. “ „Warum folgen die Dinge dem Pfad, den eine Folge von Zahlen vorgibt, wie sie sich aus einer Gleichung auf einem Stück Papier herleiten lassen? Gibt es zwischen ihnen eine geheime Verbindung? Ist es reiner Zufall oder könnte es gar nicht anders sein?“[14] Wenn es sich erweisen sollte, dass die Zahlen das Betriebsprogramm der Schöpfung sind, dann kann es in der Tat gar nicht anders sein! 

Die Zahl – das Symbol an sich      (grch. »Symbolon« bedeutet das Verbindende)

Für die jüdische Mystik, die Kabbala, ist die Hochsprache der Religion eine Sprache der Zahlen. Dass dies für alle Religionen gilt, kann ich in diesem Rahmen nur behaupten. Wenn das aber so ist und wenn wir darüber hinaus eine tragfähige Wissensbasis schaffen wollen, welche die Defiziteunseres derzeitigen wissenschaftlichen Wissens aufzufangen vermag, dann müssen wir die bisher scheinbar noch unvereinbaren Extreme, das tradierte Kulturwissen einerseits und die moderne Naturwissenschaft andererseits über einen gemeinsamen Bezugsrahmen verstehen lernen. Das ist demnach nur möglich, wenn auch die Sprache der Naturwissenschaft in der Sprache der Zahlen begründet ist. So gilt es, die Sprache der Evolution als eine Sprache der Zahlen zu entschlüsseln.

Hinweise und Gelegenheiten dafür bieten sich besonders dort, wo wir es mit Symbolen und Metaphern zu tun haben. Die Metaphorik und Symbolik gehören heute nicht mehr nur der Esoterik an. Sie haben inzwischen als Wissenschaftsmetaphorik und Wissenschaftssymbolik eine interdisziplinäre Funktion eingenommen. Von dort aus gelangt man durch einen kleinen Schritt der Abstraktion zwangsläufig zu den Zahlen. Nicht mehr vom zählenden Auge geblendet wird man gewahr, dass nicht nur die Religionen die Schöpfung der Welt und ihre Ordnung mit den Zahlen begründen. Die Philosophie und die Naturwissenschaften haben es schon von Anfang an getan. Das allgemein bekannte »Alles ist Zahl« des Pythagoras von Samos (ca. 540 v.Chr.) können wir möglicherweise noch als eine vorzeitliche Ansicht eines Vorsokratikers abtun, nicht aber mehr die daraus abgeleiteten Zusammenhänge. Die Relativitätstheorie ist ein „Pythagoreismus ungeahnten Ausmaßes (Einstein). Wer annimmt, die Raumzeit habe keinen Bezug zur Weisheit des Pythagoras, der reduziert den Philosophen auf das rein Quantitative, auf die rechnende Mathematik. Solches Vorgehen ignoriert die sie ursprünglich begründende Zahlenweisheit und verfehlt, wie uns das folgende Beispiel zeigt, den wahren Kern der Philosophie:

Der Urvater der abendländischen Philosophie ist Platon. Auf seinen Grundmauern ruhen unzählige geistige Gebäude.[15] Wir kennen den Kern der platonischen Philosophie, die Ideenlehre. Nach ihr besteht die wahre Wirklichkeit der Welt nicht aus den Einzeldingen dieser Welt, sondern aus „allgemein urbildhaften Ideen“. Was denn aber die urbildhaften Ideen sind, das ist entweder unbekannt oder die Antwort Platons erscheint zu einfach, um sie als Schlüssel seiner Erkenntnis zu akzeptieren. Dabei finden wir sie in unmissverständlicher Form in der Mitte seines Hauptwerkes, der Politeia:

was allen Künsten und Forschungen und Wissenschaften unentbehrlich ist, und was denn jeder mit als Erstes erlernen muss. Diese ganz bescheidene Weisheit: die richtige Kenntnis der Eins, der Zwei und der Drei.“[16] Dass unter der »richtigen« Kenntnis nicht nur eine quantitative sondern vor allem auch eine der übergeordneten Idee zugehörige qualitative Schau zu verstehen ist, die sowohl dem Kriegsmann wie dem Philosophen dient, das stellt Platon klar und deutlich heraus: „Es obliegt uns also dies Fach (Zahlenkunst) zum gesetzlichen Lehrfach zu machen und diejenigen, die künftig im Staate der höchsten Amtsgewalt teilhaftig sein sollen, zu veranlassen sich der Zahlenkunst zuzuwenden und sich mit ihr zu befassen nicht etwa bloß in laienhafter Weise, sondern bis sie durch reine Vernunfttätigkeit zurAnschauung der wahren Natur der Zahlen gelangt sind, eine Art der Behandlung, die nichts gemein hat mit Kaufen und Verkaufen wie bei Kaufleuten und Krämern…“.  Für Platon war jenes Lehrfach ein „besonders feines Fach“, weil es, wie er es ausdrückte,  „die Seele offenbar nötigt auf dem Wege des reinen Denkens sich der reinen Wahrheit zu nähern.“ [17]

 Das Wesen der Zahl …

Man könnte sagen: welch herrliche Gesetze hat der Schöpfer in die Zahlen gelegt!“, so Wittgenstein [18].  Auf die die Religion, Philosophie und die Naturwissenschaften bewegende Frage, was denn wahr ist, gibt es immer nur Antworten, die mit den Zahlen zu tun haben. Mit Zahlen ordnen wir die Welt und wir versuchen die Welt, mit Zahlen einzuholen. Zum einen laufen wir in unserem Verstehen-Wollen der Welt und ihrer durch die Zahl geprägten Ordnung nach. Zum anderen ist sie uns voraus. Sie ist die Grundlage und Vorbedingung unseres exakten Denkens. Die Existenz der Zahlen ist wirklicher als die Existenz von Zeit und Raum. Zahlen sind präexistent und das Abstrakte an sich. Nur deshalb lassen sich Raum und Zeit durch sie ordnen.

Wenn alles, die Welt und auch wir und unser Denken der Zahl zugehörig sind, dann verstehen wir unser Tun als Selbstbewegung, mit der wir unseren Platz in der Ordnung finden. Wo anders sollten wir dann eine Antwort auf die Frage nach uns und dem Phänomen des Bewusstseins finden als in dem, was uns die Zahlen erzählen können?

Religion, Philosophie und Naturwissenschaft suchen die Ordnung mit Hilfe der Zahlen. Sie unterscheiden sich nur in ihrem Weg und dem auf ihm liegenden Gegenstand. Während sich die einen dem Transzendenten, der Idee, den Archetypen, kurzum dem Ideal zuwenden, beschäftigen sich die anderen mit der ihnen real erscheinenden Wirklichkeit der Dinge.

   … aus der Sicht der Religion

Der Ordnungsbegriff ist, ob quantitativ oder qualitativ verstanden, vom Begriff der Zahl nicht zu trennen. Die Religion beschreitet den qualitativen Weg und konzentriert sich auf die Qualität des Ursprungs. Auf ihn hin hinterfragt sie die von der Polarität geprägten Beziehungen in der Welt. Sie sind aus ihm hervorgegangen und von ihm geprägt.

Sobald jemand ordnet, dann ordnet er es, in welche Ausdehnung auch immer, entweder »vor« oder »nach« etwas schon Vorhandenem. Das  »vor«  oder  »nach«  ist ein Nachvollzug der Ur-Beziehung  »Eins-Zwei«. Diese erste Beziehung ist die Ahnbeziehung aller Beziehungen. Das schlägt sich zahlensymbolisch im Namen des Ahnvaters der drei großen abrahamitischen Religionen nieder, dem Judentum, dem Christentum und dem Islam. »Abraham« ist gleichbedeutend mit der Zahlenfolge 1-2-200-5-40 und bedeutet »Vater einer großen Menge«. Nach der expliziten Benennung der Urbeziehung »Eins-Zwei« folgt der dann bewusste Versuch einer Heilsgeschichte. Zahlensymbolisch ist die »große Menge« die der Urbeziehung folgende, unendliche Vielzahl aller Zahlbeziehungen. Mit der Vätergeschichte Abrahams kommt sodann und erst ab dort -, – auch fortlaufend der Begriff »Vater«, 1-2-10 (hebr. Aba, אבי) vor. Er verbürgt die ewige Gegenwart der Urbeziehung.

Die fortlaufenden Zahlen sind die Repräsentanten dieser Urbeziehungen, der Ordnung und Wechselwirkung an sich. Die Zahlen verraten uns, was Beziehungen im ursprünglichen Sinn sind und wie sie zustande kommen. Beziehung ist Bindung. Und in der besonderen Art der Bindung jeder Zahl besteht ihre umfassende Einmaligkeit.

Machen wir uns dazu am Zahlenstrahl klar, wie eine Zahl entsteht: Jede Zahl ist eine solche nur, weil sie dies ist in Bezug und in unverbrüchlicher Bindung an die Eins, dem Repräsentanten der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit (s. Abb.).

Die Vier ist die Vier, weil sie eben viermal die Einheit repräsentiert! Und die Sieben ist nur Sieben, weil sie gerade siebenmal die Einheit repräsentiert! Jede Zahl definiert sich und damit ihre Individualität an der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit. Nichts ist so sehr und unverbrüchlich an die Einheit gebunden wie die Zahl. Das macht sie zur wahrhaftigen, göttlichen Sprache der Schöpfung. Die Zahl 2 ist das seinem Schein nach Andere. Mit ihr beginnt die nicht endende Vielheit. In der Sprache der Zahlen gibt es nach dem o.g. Bild jedoch keine Vielheit, welche nicht die Einheit spiegelt und offenbart. Da jede Zahl den Ursprungsbezug in sich trägt – mithin durch die Einheit ist haben darüber hinaus alle Zahlen eine eindeutige Beziehung auch untereinander. Als Ganzes verleihen sie der Einheit sodann eine größere Dimension. Aus der Einheit, dem anfänglich ungreifbaren Punkt, der Alles und Nichts vereint, wird ein Kreis. Der Dimensionszuwachs vom dimensionslosen, ungreifbaren Punkt zum dimensionshaften (»teilhaftigen«) Kreis wurde durch die Vielheit der Zahlen erreicht. Wie viele Zahlen auch immer die Peripherie des Kreises bilden, sie bilden ihn deshalb, weil sie unabhängig von ihrer individuellen Größe – jede für sich allein auf den Ursprung bezogen sind. Die Zahlen setzen das Grundthema jeder Philosophie und Religion ins Bild: das Gegenüber von Gott (Einheit) und Welt (Vielheit), das Gegenüber der „Zahl“ 1 und der „Vielheit der Zahlen“. Jede Zahl steht dabei für eine Idee. Die erste und letzte Idee aber im Bilde der Zahlen ist die Einheit aller Unterschiede.

Die Bindung der Zahl ist vollkommen. Sie dient der Einheit und stellt sich ihr uneingeschränkt zur Verfügung. Insofern verzichtet sie als vollkommen dienendes Wesen auf jegliches Eigenleben. So kennen und benutzen wir sie. Eine Zahl kann alles zählen. Beim Zählen wird sie automatisch, geradezu selbstlos, zum Zeichen dessen, was sie zählt. Wir sagen, sie kann potentiell alles bedeuten. Ihre Grunddeutung indessen verliert sie nie. Das aber gerade gibt ihr das Eigenleben zurück, das wir in allen Erscheinungen finden und an ihr so bewundern. Es ist die paradoxe Einheit von Hingabeund resultierendem Lebensgewinn, die der Gegenstand aller Religionen ist. Jene Beziehung resultiert aus der Ur-Beziehung »Eins«Zwei«. Sie ist der Hüter des Grals, des letzten Ordnungsgesetzes. In der Metaphorik der zwei Cherubim bewacht sie den Eingang zum Paradies.

Aus dem religiösen Kontext heraus kann uns klar werden, wie noch einseitig die heutigen Naturwissenschaften die Zahl betrachten. Die absolute Verbindlichkeit der Zahl macht sie universell und zu dem Hilfsmittel der Naturwissenschaft, das wir kennen. Daraus zu schlussfolgern, die Zahl hätte deshalb keine spezifische Qualität und sie stünde ausschließlich für Quantität, nur weil sie sich mit jeder Qualität verbinden kann, ist ein schwerwiegender Trugschluss. Das käme dem Trugschluss gleich, dass jemand, der mit Menschen aller Glaubensrichtungen und Einstellungen kommunizieren kann, deshalb selbst keine Qualität und kein Profil besitzen würde, also minderwertig oder minderentwickelt wäre. Das ist nicht so – im Gegenteil, und wir wissen es, denn die Menschen erstreben diese göttliche Qualität in der Projektion auf einen Messias. Der Zahl wegen ihrer universellen Fähigkeit auch ihre jeweilige individuelle Qualität abzusprechen, ist unlogisch und nicht haltbar. In ihr kommt vielmehr der Sinn von Individualität, der Ungeteiltheit trotz Teilhaftigkeit, in seiner tiefsten Bedeutung des Wortes zum Ausdruck.

 

   … aus der Sicht der Naturwissenschaft

Die Mathematik sowie die gesamte Naturwissenschaft kann wegen des Preises ihrer Bindung an das Konkrete trotz ständiger Verfeinerung ihrer Mittel die natürlichen Vorgänge und Zusammenhänge des Lebens immer nur beobachten und beschreiben, jedoch ohne Hinzunahme der Anderswelt, der geistigen Welt nicht deuten. Sie kann es nicht, weil sie den »Ursprung« nicht kennt; sie kennt nach ihrem Sprachgebrauch die »Anfangsbedingungen« nicht.

Das gilt seit dem Jahre 1931 durch den Mathematiker Kurt Gödel als gesichert. Damals erlitt die Welt der Mathematik einen Schock. Kurt Gödel setzte dem Traum einiger Mathematiker, die logische Widerspruchsfreiheit, die Konsistenz der Mathematik aus sich selbst heraus beweisen zu können, ein Ende. Er bewies, dass die mathematischen Wahrheiten mehr sind als Konstruktionen aus Axiomen und Regeln. Ab da an war auch naturwissenschaftlich klar, dass man aus der Mathematik herausgehen muss, wenn man sie voll verstehen will. Ansonsten bleiben in ihr immer unentscheidbare Aussagen. Das in dem Aufsatz „Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematika und verwandter Systeme“ genannte Gödelsche Unvollständigkeitstheorem lässt es nicht mehr zu, die Mathematik für sich allein als die letztgültige, vollkommene und vollständige Theorie zu sehen. Das bot die besondere Gelegenheit, den letzten Dingen der Wirklichkeit näher zu kommen. Aber die auf so strenge Logik und Unbestechlichkeit orientierten Mathematiker machten paradoxerweise nun das, was sie eigentlich von den subjektiven Wissenschaften unterscheiden sollte; sie waren subjektiv und blieben in der alten Denkweise verhaftet.

Gödel war nicht nur einfach Mathematiker. Er war vor allem ein Vertreter des Platonismus. Zahlen waren für ihn wirklicher als die vermeintlich realen Dinge. Gödel glaubte an die Welt der Ideen, aus der heraus sich die mathematische Realität speist. Die naturwissenschaftlich-mathematische Welt ist eine Ableitung aus der Welt der Ideen und kann deshalb allein aus ihrer Position heraus nicht befriedigend erklären, weshalb Materie entsteht und was sie bewegt. Das bedarf eines übergeordneten Sinnzusammenhanges wie er durch den Verweischarakter der Zahl erstellt wird.

Die Wirklichkeit lässt sich nur verstehen, wenn sie zwingend eine sprachliche Struktur enthält und so der Ordnung folgt. Die Naturwissenschaften bedienen sich mit dem Experiment und der Mathematik in ganz dinghafter Weise der ordnenden Sprache der Zahlen. Konkret bedienen sie sich der in der Mathematik eingebauten Logik. Ihre Elemente, die Zahlen und ihre Beziehungen zueinander erzwingen diese Logik. Weil das so ist, ist eine weitgehende Zusammenarbeit in der Forschung möglich. Das durchaus erstaunliche Phänomen bleibt unverstanden, bis man die ihr zugrundeliegenden Archetypen und ihre Beziehungen „beim Namen kennt“ (»zählen« im Sinne von »benennen«). Dazu aber müssen sie beginnen, die bisher einfach nur hingenommenen, wundersamen Selbstverständlichkeiten ihrer Werkzeuge zu hinterfragen. „Denn wenn ein denkendes Geschöpf von ihnen [den Zahlen] erfährt, kann sich dieses Geschöpf gar kein anderes Zählen vorstellen als jenes, das wir kennen. Warum sind die Zahlen uns mit solcher Gewissheit vertraut?[19] Zählen ist ein Zuordnungsprozess der direkt funktioniert.

Der Weg der Naturwissenschaften hin zu einer neuen Bedeutungsverleihung der Zahlen ist vorgezeichnet. Der Widerspruch, ihre Struktureigenschaften und somit ihre ordnungsstiftenden Qualitäten einerseits anzuerkennen, andererseits es aber abzulehnen, diese in ihnen selbst zu suchen, ist für eine auf die Dinge gerichtete Wissenschaft nur begrenzt durchzuhalten. Während das für sie so wichtige Objekt mehr und mehr schwindet und das bisher geschmähte Subjekt an Bedeutung gewinnt, erhält das Prinzip der Beziehung ein besonderes Gewicht. Im Grunde haben uns heute schon Mathematik und Physik gelehrt, dass die Beziehung dem Element voraus geht. Das System entsteht aus Beziehungen und nicht aus Elementen. Es gibt keine autonomen Teilchen, die nicht wieder als Beziehung zu definieren wären.[20] Alles sind Beziehungen.

Selbst wenn man von der kaum mehr zu haltenden Annahme, Zahlen hätten nur eine quantitativ, zählende Eigenschaft, ausginge, so kommt ein das hochgradig geordnete Universum ernsthaft hinterfragender Wissenschaftler an dem Urordnungselement Zahl nicht vorbei. In einer Welt, die in allen ihren Teilen von der Polarität geprägt ist, fehlt der Zahl offenbar als einziges ein wirklicher Gegenpol. Sieht man ihre innere Dynamik und ihre inneren Beziehungen nicht, dann ist sie als Ganzes etwas Ungespaltenes, Ungeteiltes, weil Nichtpolares. Das macht sie einmalig. Im naturwissenschaftlichen Sprachgebrauch entspricht das dem Prinzip einer Singularität. Eine solche setzt aber die Gesetze und die Denke der herkömmlichen Naturwissenschaft, die dennoch und gerade auf die Zahl baut, außer Kraft. Der Widerspruch mahnt an, die Zahl auf ihre möglichen Botschaften hin zu untersuchen. Tut man es, dann gelangt man unweigerlich zu dem schon vorangehend dargelegten inneren Aufbau der Zahlenreihe, in der die individuelle Zahl eine solche nur ist, weil sie eine unverbrüchliche Beziehung zur Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit hat, deren ontologischer Repräsentant die Zahl Eins ist. Unter all den relativen Größen unseres Universums sind die Zahlen „am wenigsten relativ“. Sie sind „Teilstücke“, aber alle Urrepräsentanten der „Ein-Sicht“.

 Die Konsequenzen um das Wissen der Archetypen  –  die erweiterte Sicht …

  … für die Naturwissenschaften

Mit dem Wissen dass die Zahlen die Ordnung vorgeben und dass das Maßgebende hinter der Ordnung die »Zahl 1«, die Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit ist, legen die physikalischen Erkenntnisse und Experimente ein anderes, neues Zeugnis ab. Allein die heute als banal geltende Erkenntnis, dass der theoretische Anfangszustand des Universums ein einziger ist, aber zugleich die größte Vielfalt an Möglichkeiten einschließt, und dass in diesem Anfang das Maß der Unordnung (Entropie) gleich Null ist, d.h. einen Zustand der maximalen, der reinen Ordnung darstellt, bekommt eine ausgesprochen tiefe Bedeutung. Das gilt für die meisten Experimente. Dazu einige Beispiele:

Pythagoras interessierte sich für die Umstände, die den Zustand der Harmonie herbeiführen und untersuchte das Harmonieempfinden des Menschen am Monochord, einem einfachen Saiteninstrument. Dabei wies er nicht nur die Korrelation der Tonhöhe von der Länge der klingenden Saiten nach sondern entdeckte etwas Normatives, das Jahrtausende später durch die Atomphysik bestätigt wurde, dort hingegen auf das Unverständnis seiner Entdecker stieß und schließlich zur Entwicklung der Quantenmechanik führte: Es war die Tatsache, dass Harmonien durch ganze Zahlen entstehen! Konkret: Die konsonierenden Intervalle der Tonleiter, d.h. die »Harmonien« werden durch einfache, d.h. ganzzahlige Verhältnisse ausgedrückt! Eine Oktave entspricht dem exakten Zahlenverhältnis 2:1, eine Quinte 3:2, eine Quarte 4:3 usw. Durch die Entdeckung des Pythagoras kann der Mensch dieses erstrebenswerte Ideal – den Zustand der Harmonie – formell erfassen. Der Schlüssel sind zweifelsfrei die ganzen Zahlen.

Der suchende Mensch, den das Gefühl der Vertreibung aus dem Paradies quält, erkennt mangels »Ein-Sicht« nur die halbe Wirklichkeit, empfindet sich folglich nur als das Gebrochene und als ein verstimmtes Musikinstrument im Orchester der Schöpfung. Ihm fehlt die ideale harmonikale Resonanz. Wie sehr hier das Prinzip und die praktische Wirklichkeit korrelieren, kennen wir aus Erfahrung. Sind Körper oder Seele von Zeit zu Zeit einmal verstimmt, dann erreichen wir mitunter Heilung durch das Aufnehmen musikalischer Harmonien. Sie wirken, obwohl dem Musikkonsumenten dabei nicht bewusst ist, dass diese Harmonien durch die ganzen Zahlen bewirkt werden.

Der denkende Forscher jedoch dringt durch seine aus der Disharmonie kommenden Fragen entsprechend weiter vor. Sein Tun führt ihn zu der gleichen normierenden Welt der ganzen Zahlen, die schon Pythagoras am Monochord demonstrierte und in seiner Folgewirkung am pythagoreischen Dreieck beleuchtete. Die Atomphysiker fanden die sprunghaften Übergänge der Elektronen (Quantensprünge), zu deren Erstaunen zwischen deren strahlungsfreien »Umlaufbahnen« keinerlei Übergang (!) existiert. Dies führte zur Entwicklung der Quantentheorie, später der Quantenmechanik und der bis heute nicht abgeschlossenen Quantenfeldtheorie. Die Quantensprünge der Elektronen und deren festen »Umlaufbahnen« gleicht dem Monochord. Beide zeigen die regieführende Wirkung der ganzen Zahlen. Was für die Forschung auf der subatomaren Ebene so eigenartig und unerklärlich aber zweifelsfrei wirksam ist, haben sie auf der atomaren Ebene hingenommen, ohne deren philosophische Bedeutung zu würdigen. Man bedenke: Unsere substanzielle Welt, die chemischen Elemente, ordnen sich im Periodensystem der Elemente nach den ganzen Zahlen! Die geschöpfte Substanz ist notwendig eine Vielheit von Elementen. Weil sie aber der Zahlenordnung folgt, bleibt sie, der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit unterstellt, so, wie jede einzelne Zahl der Einheit verbunden bleibt und sonach ihre Existenz begründet.

Die Zahlen, wie die Elemente, wurden vom Menschen entdeckt und keineswegs von ihm erfunden. Sie waren vor ihm. In ihrer nur dem Prinzip und weniger dem Phänomen nach beschränkten Anzahl von Mustern bilden sie die Archetypen der Schöpfung, denn sie heben mit Eins an und haben keine naturgegebene Grenze, keine letzte Zahl. Die Zahlen geben die Ordnung vor und sind, weil auch wir Ausdruck der Ordnung sind, unsere geistigen »Denk- und Bildungsmuster«. Sie machen in ihrer Folge die einzelnen Ideen und die daraus entstehende Dynamik durchsichtig, die wir allgemein als Kausalitäten beschreiben (Es versteht sich, dass dies im Einzelnen an anderer Stelle nachzuweisen wäre).

Dass die ganzen Zahlen musterhaft wirklich allgegenwärtig sind, zeigt uns die Quantenmechanik auch hinsichtlich ihrer eigenartigen Resultate bezüglich des Konkreten an sich. Wir wissen, dass selbst die über uns kommenden und unser Leben rahmenden Parameter Zeit, Raum und Energie gequantelt sind und nur in wohl definierten Portionen und nicht etwa in beliebigen Größen vorkommen. Es gibt eine kleinste Zeit-, eine kleinste Raum- sowie eine kleinste Energie-Einheit. Unterhalb dieser Mindestgrößen verliert die Physik ihren Sinn. Das hat, was man sehr leicht übersieht, höchste Bedeutung. Wenn es ein halbes oder irgendwie geteiltes Quantum nicht geben kann und alle Pakete nur ganzzahlig sein können, dann bedeutet das, dass all die Größen, mit denen wir unseren Kosmos beschreiben, zwingend in Verbindung mit ganzen Zahlen vorkommen! Das hält worüber wir uns immer wieder wundern den Kosmos zusammen und macht ihm zu dem, was »Kosmos« bedeutet: Ordnung. Weil die Substanz an die Zahl gebunden ist, wie diese an die Einheit, bleibt trotz zunehmender »Teilhaftigkeit« das Ganze gewahrt. Nur so erleben wir, das was uns H.Lesch in seinem Vortrag mit kosmologischen Bildern vorgeführt hat: Der Kosmos lebt von den Nichtgleichgewichten und so genannten Symmetriebrüchen. Wo immer wir hinschauen, in all seinen Teilen begegnet uns der Fehler. Wir leben in einem Universum voller Fehler und doch bilanzieren wir: „Die Entwicklung des Universums ist eine einzige Erfolgsgeschichte“. Das verdanken wir der Ordnung, deren Repräsentanten die Zahlen sind.

Die weitgehende Unfassbarkeit des Ganzen (Einheit) verursacht bei uns erst einmal ein Unbehagen, das uns schon beim Blick in den unbegrenzten Kosmos beschleicht. Bei näherem Hinsehen und echtem Verstehen erweist sich diese Qualität jedoch als Garant einer zeitlosen Vollkommenheit, welche inhaltlich gesehen Zerstörung verhindert und die Schöpfung nach dem Urbild der Zahlen als durchgängiges Additionsprinzip erkennbar macht. Die durch den Erkenntnisprozess aus der Einheit zeitweilig herausgelösten Stücke öffnen sich einer wahren Einsicht dann, wenn man sie auf die im Hintergrund waltende Einheit bezieht. Solche Einsicht macht das schauende Individuum übermächtig und opferfähig, denn es macht mit seinem Geist die Teilstücke zu Gliedern des Ganzen – zur Offenbarung göttlicher Ordnung und Gerichtetheit.

  … für die Religionen, insbesondere für das Verhältnis von Zahl und Schrift

Die Zahl war vor dem Buchstaben. Und der Gebrauch von Zahlen entwickelte sich vor der Schrift. Der Kern der Kulturentwicklung liegt in den Zahlen. Beispielhaft ersehen wir das an den Megalithkulturen. Diese besaßen die Fähigkeit komplizierte astronomische Berechnungen durchzuführen, aber eben noch keine Schrift!

Die Logik der Schrift basiert auf der Logik der Mathematik und diese auf der Logik der Zahlenelemente. An deren Anfang und Ende wiederum steht, wie wir inzwischen wissen, der Durchgriff der Eins, der die Vielheit zusammenhält und regiert.

Die Schrift ist die menschliche Fähigkeit, die Einheit von Dingen durch einfachste Elemente ins Bild zu setzen und damit zu kommunizieren. Mit Hilfe der Einheit – hier »Einzelheiten« in Form der einfachste Buchstaben – wird Einheit offenbart. Ein Buchstabe, ein Satz und ein Aufsatz sind solche Einheiten in wachsender Größe. Die vollkommenste Ausformung erhält diese Einheit aber dann, wenn sie in allen ihren Dimensionen, Inhalt wie Form, diese Einheit zum Ausdruck bringt. Das ist beispielsweise bei einem Gedicht der Fall. Während ein gewöhnlicher Brief auch überaus Unangenehmes vermitteln kann, ist ein Gedicht von vornherein der Einheit geweiht, was der Leser weiß und an ihm besonders schätzt. Selbst ein trauriges Gedicht ist am Ende schön, wie wir mitunter sagen, „schaurig schön“. Das Versmaß und andere Stilmittel sind nur die Ausdrucksformen des immer Gleichen – der Ganzheit, des „Wahren, Schönen, Guten“, wie es Platon nennt.

Die höchste Kunst wäre es, wenn der Schreiber diese Ganzheit in wirklich allen Ebenen zum Ausdruck bringen würde. Dabei müsste schon jeder einzelne Buchstabe bereits die Ordnung erkennbar machen. Die so aus ihnen entstehenden Worte müssten sodann, der gleichen Ordnung und Hierarchie folgend, so aneinander gereiht sein, dass ihre Abfolge die noch immer sehr verborgene Einheit weiter entfaltet. Schließlich würde aus streng geordneten Buchstaben, Wörter, Sätze, eine ganze Geschichte, ein Kapitel, ein Buch und ein ganzer Kanon von Büchern entstehen. Das wäre dann wirklich eine die Einheit sichtbar machende, vollkommene, ganze und Heil offenbarende Schrift eine »heilige Schrift«. Sie liegt uns vor, und sie zu entschlüsseln ist wegen ihres Umfangs ein Lebenswerk. Wir werfen hier einen Blick auf die ersten drei Buchstaben:

Um die Ordnung der Zahlen in Buchstaben umzusetzen, müssen beide ihrem Inhalt, d.h. ihrer Qualität nach einander streng zugeordnet werden. Das ist in der biblisch-hebräischen Sprache der Fall. In ihr gibt es, keine gesonderten Zahlzeichen. Buchstaben und Zahlen sind identisch. Das Alef entspricht der Eins, das Beth der Zwei usw. Alle Buchstaben gelten als Schöpfungskräfte Gottes, haben einen Zahlenwert und einen ihnen zugeordneten Sinn. Jedes Wort stellt daher eine Abfolge von Zahlen dar, welche eine in ihr verborgene Dynamik von Schöpfungsgedanken anschaulich macht. Die Deutung von Wörtern und Texten erhält auf diese Weise eine zusätzliche Dimension.

An diese Stelle gehört eine dringende Abgrenzung und Klarstellung:  Wie jedes Instrumentarium kann auch dieses seinem ursprünglichen Zweck entfremdet und missbraucht werden. Dann entsteht ein gefährlicher kabbalistischer Unsinn wie wir ihn aus der aktuellen esoterischen Szene kennen, die über sogenannte Schlüsselzahlen „Macht- und Zauberinstrumente“ machen will. Diese Gefahr hat zu jeder Zeit bestanden. Für die Redaktoren der heiligen Schrift war es deshalb von vornherein notwendig, die Ordnung sicher erkennbar und nachvollziehbar zu halten. Die größte und entscheidende Standardisierung der Schriften des AT geschah höchstwahrscheinlich am Ende des 1 Jh. und Anfang des 2. Jh. n.Chr. Seit dem verfügen wir über den so genannten vormasoretischen Text, der im wesentlichen mit unserem heute bekannten masoretischen Text übereinstimmt.

Ein Verfall kann, wie wir heute wissen, nicht nur auf der spirituellen Seite sondern auch auf der wissenschaftlichen stattfinden. Kein geringerer als Heinrich Heine hat darauf hingewiesen: „Man kann die Ideen, wie sie in unserem Geiste und in der Natur sich kundgeben, sehr treffend durch Zahlen bezeichnen; aber die Zahl bleibt doch immer das Zeichen der Idee, nicht die Idee selber. Der Meister bleibt dieses Unterschieds noch bewusst, der Schüler aber vergisst dessen und überliefert seinen Nachschülern nur eine Zahlenhieroglyphik, bloße Chiffren, deren lebendige Bedeutung niemand mehr kennt und die man mit Schulstolz nachplappert. Dasselbe gilt von den übrigen Elementen der mathematischen Form.[21]

Die Botschaft der Thora ist nach dem soeben beschrieben Entfaltungsprinzip, analog der Urbeziehung Eins—Zwei schon im ersten Buchstaben, dem »Beth« des »Bereschit«, das im Alphabet zugleich der zweite Buchstabe ist, in Gänze enthalten – ähnlich eines Samenkorns, in dem bereits die gesamte Erbinformation steckt. Spätestens aber in den ersten zwei Worten und ihrer Gemeinsamkeit (Einheit) wird jedoch die schon in höchst konzentrierter Form enthaltene Botschaft des ersten Buchstabens deutlich.

Das dort behandelte Urproblem des Menschen ist seine von ihm so empfundene Trennung von der Einheit. Der Mensch findet sich in der für ihn verwirrenden Welt der Polaritäten, der Welt der Vielheit wieder. Im Zahlengleichnis ist das die Welt der Zahlen 2 bis Unendlich. Das einzige, dessen der Mensch sich sicher sein kann, ist die allgegenwärtige Polarität. Alles in der Welt ist von ihr geprägt. Von ihr ist er »abhängig« (s. die „schlechthinnige Abhängigkeit« Schleiermachers). Jene Qualität der Zweizahl verbindet der Mensch vorwiegend mit dem Sinn von Halbheit, Zweifel, Zwiespalt, Zwist und dem Begriff des »Gegeneinander«, worunter er leidet. Nur selten erhascht er von der Zweiheit einen positiven Eindruck, wie beispielsweise in einer »Zweisamkeit«, die wiederum nur vorübergehend und von kurzer Dauer ist.

Der Mensch mit seiner Erkenntnisfähigkeit, seinem unterscheidenden Verstand, ist seiner Natur nach getrieben, die Einheit zu reflektieren, denn er steht ihr zunächst gegenüber. Gelingt es ihm, die Beziehung zu ihr in rechter, verbindender (verbindlicher) Weise zu definieren, dann schließt er sie in seinem Bewusstsein ein, das sonach göttlicher Wesensart wird. Der Weg des Bewusstseins beginnt bei der Qualität, die ihr eigen ist. Das ist die Zweiheit, die Fähigkeit zu differenzieren, demgemäß auseinander zu halten und zu spalten.

Als der Mensch sich im biblischen Gleichnis der Erkenntnis zuwandte, ging er diesen Weg des Spaltens. Darin folgte er dem Schöpfer, der vorbildhaft die Welt an 6 Tagen immer durch den Vorgang der Abspaltung schuf (Licht-Finsternis, Wasser oben – Wasser unten; Wasser – Erde; Sonne – Mond, Wassertiere – Vögel; Landtiere Mensch). Der Weg der Entwicklung beginnt zahlensymbolisch gesehen mit der Zwei und ihrer Bedingtheit.

Die Genesis stellt mit dem Beth, dem 2.Buchstaben des Alphabets ganz demonstrativ die Zweizahl und ihren Widerspruch voran und entfaltet sodann das Prinzip durch alle Ebenen hindurch. Der ersten Bedingtheit folgt eine regelrechte Kaskade von Bedingtheiten und Widersprüchen. Betrachten wir die Zahlenwerte der ersten beiden Wörter, dann stellen wir fest, dass dem 2. Wort im Verhältnis zum 1.die zweite Hälfte fehlt. Auf der Satzebene wird die darin liegende Botschaft noch deutlicher.

Der erste Satz enthält exakt 11 der 22 Buchstaben des hebr. Alphabeths. Die „Halbheit“ stellt das Beziehungsverhältnisses 1:2 heraus, um das es immer geht. Auch hier ist das Erste, der erste Satz, wie das „B“ am Anfang eine „Halbheit“. Das Voranstellen des Zweiten ist Programm. So erklärt sich auch der überaus eigenartige Bau des so wichtigen ersten Satzes. Anstatt des erwarteten, leicht zu bildenden und klar verständlichen Verbalsatzes „Gott schuf im Anfang den Himmel und die Erde …“, bei dem die Zahl 1 und zugleich Gott den Anfang eingenommen hätten sowie das zweite Wort mit der Zwei begonnen hätte, beginnt die Schrift mit einem Konjunktionalsatz „[(Als) Im-Anfang schuf Götter …“] und einer Kaskade von Widersprüchen.

In dieser wohl kaum zufälligen Wahl verbirgt sich offenbar der Kern der Weisheit, die zu vermitteln die Schrift angetreten ist und die schon das Beth zum ersten Träger des religiösen Zentralgeheimnisses macht. Nach der kabbalistischen Tradition wird deshalb auch die paradoxe Konstruktion, der „erste Buchstabe Beth“ zusätzlich mit einer kleinen Krone verziert.[22]

Auf welche rechte[23] Weise sich die über die Zwei aufgebaute Spannung zu entwickeln hat, wird natürlich ebenso gleich zu Anfang in den ersten beiden Wörtern vermittelt: Eins und Zwei, das Ganze und das Teilhaftige, das Ungebrochene und das Gebrochene stehen sich gegenüber wie These und Antithese. Ziel von These und Antithese ist die Synthese. Die Synthese der zuvor getrennten Teile zu einem größeren und komplexeren Ganzen, welches die Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit sichtbar und erfahrbar macht, ist auch das Ziel und das Prinzip der Schöpfung. Wir erfahren das, wenn wir uns das erste (Ur-)Verb der heiligen Schrift, das »bara« [hebr. »schöpfen«] anschauen das explizit dem göttlichen Schöpfungsakt vorbehalten ist.

Die im göttlichen »bara« verborgene kabbalistische Weisheit offenbart sich in seiner Zahlenfolge 2→200→1. Sie beschreibt die an allem Anfang stehende, allgegenwärtige Polarität (2). Sie ist der Zustand der Spannung und Bedingtheit. Im dinglichen Sinn ist sie das Andere, eine Antithese zu etwas schon Vorhandenem. Synthese kann nur geschehen, wenn das jeweils andere nicht getötet sondern vielmehr erhöht wird. Das ist im wahrsten Sinn des Wortes »notwendig«, um im Vollzug der Synthese seine Aufgabe erfüllen zu können. Wenn die Zweiheit auf ein höheres Niveau gebracht wird, wird sie zur Synthese befähigt. Zahlensymbolisch wird das ins Bild gesetzt durch das Hinzutreten der Null. Das Polare wird, genau genommen, auf eine zweifache Weise erhöht. Dann erst wird Einheit (1) offenbar, was die heilige Schrift mit der Zahlenfolge 2→200→1 zu beschreiben versucht. Diese ersten drei Buchstaben und dieses erste Verb, das Tun Gottes, sind die höchste Konzentration biblischer Weisheit. Als solche bilden sie zugleich eine Halbheit (Bedingtheit), denn sie bilden genau (und nur) die Hälfte des ersten Wortes (Bereschit). Damit wird das Verhältnis 1:2 ins Bild gesetzt und ausgesagt, dass die Eins und die Zwei unabdingbar zusammen gehören. Diese gleiche Aussage wird auf gegenpolare Weise im 2. Wort, dem »bara« ins Bild gesetzt. Die gleichen drei Buchstaben bilden auch das zweite Wort; doch bilden sie hier das ganze Wort! Im ersten Wort, dem Sinnbild des Ganzen (Einheit) stehen sie für eine Halbheit und im zweiten Wort, dem Sinnbild der Polarität (Zweiheit), stehen sie für das Ganze. 2 = 1 und 1 = 2 heißt die Botschaft der ersten beiden Wörter. Sie stehen einander gegenüber wie These und Antithese.

Die Bibel hebt mit der Zwei an und bindet sie zugleich unmittelbar und auf polare Weise an die Einheit. Das zweite Wort ist auf zweifache Weise vollkommen: Die aus dem ersten Wort kommenden drei Buchstaben repräsentieren das Vollkommene, weil sie trotz ihrer Halbheit ein vollkommenes Wort sind und sie repräsentieren das Vollkommene, weil sie das vollkommene Tun Gottes beschreiben. Es ist also vollkommen „obwohl“ ihm zum Ersten eine Hälfte fehlt und „gerade dadurch“, dass sie ihm fehlt.

Erst das dritte Wort (Götter, hebr. »Elohim«), das Symbol der Synthese steht für das göttliche Subjekt. Oder anders ausgedrückt: Die Offenbarung der Einheit bedarf einer vorangehenden Zweiheit. Die Einheit offenbart sich erst in der Dreizahl! So versteht es sich, weshalb der so gewichtige Gottesbegriff »Elohim« nicht, wie wir es ursprünglich erwartet hätten, am Anfang der Schöpfung steht, sondern „erst“ an dritter Position. Das dritte Wort »Elohim« ist übrigens ein Plural-Name, so, wie die gesamte Schöpfung eine plurale ist und erst in der Vielheit der Zahlen 2 bis Unendlich zum Ausdruck kommt.

Diese biblische Kernaussage lässt sich ohne Einschränkung auf die Naturwissenschaften übertragen. Auch sie vollziehen auf die gleiche Weise die Ordnung nach. Auch sie spalten indem sie nach Erkenntnis streben. Doch wer nach Erkenntnis strebt, kann beim Spalten nicht bleiben. Ziel ist immer die Synthese. So bedeutet Erkenntnis dann auch die fortwährende Verringerung von Vieldeutigkeit bis eine Einheit, ein Ganzes sichtbar wird. Die Naturwissenschaften schließen mehr und mehr aus. An ihrem tiefsten Punkt bleibt ihnen jedoch keine andere Wahl, als sich, dem archetypischen Vorbild der Zahlenfolge 2→200→1 nach, dann auch wieder dem vormals ausgeschlossenen Subjekt zuzuwenden. Das ist dann der Augenblick, in dem „der Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein wird.[24] Wegen ihrer Vorurteile, die zugleich die Vorbedingungen ihrer Existenz waren, finden sie nur gemeinsam die gesuchte, größtmögliche Kompression der Gesetze – den normativen Durchgriff der Zahlen. Am Ende offenbaren sie ihren Urgrund, die allen Anfang bildende Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit.

Die besondere Gabe des Menschen, in der Vielfalt der Erscheinungen das Einfache (z.B. das Regelmäßige und Beständige) zu erkennen macht ihn zum Ebenbild der Vollkommenheit. Sie macht ihn in einer auf den ersten Blick unüberschaubaren Welt überlebensfähig und sie macht diese Welt ein Stück weit „berechenbar“. Wenn das Berechenbare dann an seine natürlichen Grenzen stößt und mit seiner Halbheit konfrontiert wird, bedarf es erneut des Anderen, das seit langem schon an der gegenüberliegenden Seite der gleichen Grenze steht. Die Synthese wird eine neue, weniger dinghafte Wissenschaft sein. Sie wird eine Strukturwissenschaftseinund die Weisheit vernehmen, von der die Zahlen erzählen.

Wir wollen bei all dem Messbaren das Maßgebende finden. Wo immer wir hinschauen, es ist die unser Leben durchdringende Zahl. Sie ist es, weil sie eine ganz besondere, eine »einmalige« Beziehung zur Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit hat. Deshalb ist sie das ordnende Band des Weltenbaues. Die Zahl ruft uns eine unvergängliche Botschaft zu:

Ich rechne mit Dir. Auf mich kannst Du zählen.

 

[1] Erwin Schrödinger, Was ist Leben, Piper, 1993, 4. Auflage, 29f, Vorwort v. 1944.

[2] J. Maier, Die Kabbalah, München 1995, I. Bausteine.

[3] vgl. Marie-Luise von Franz, Zahl und Zeit, Klett-Cotta 1990, 131.

[4] Marie-Luise von Franz, Zahl und Zeit, Klett-Cotta 1990, 32.

[5] Marie-Luise von Franz, Zahl und Zeit, Klett-Cotta 1990, Vorwort.

[6] Gottfried Wilhelm Leibniz, Disputatio metaphysica de principio individui, Leipzig 1663.

[7] Wolfgang Pauli: Naturwissenschaftliche und theoretische Aspekte der Idee des Unbewußten, Aufsätze und Vorträge über Physik und Erkenntnistheorie, Braunschweig 1961, 122.

[8] vgl. Marie-Luise von Franz, Zahl und Zeit, Klett-Cotta 1990, 151.

[9] H. Weyl, Philisophy of mathematics and Natural Sciense, Princeton 1949, 7f.

[10] P.J. Davis, The Lore of Large Numbers, New Mathematical Libr., Yale 1961, 82f.

[11] W. Heisenberg, Physik und Philosophie, Stuttgart 1959, 52f.

[12] zit. n. Marie-Luise von Franz, Zahl und Zeit, Klett-Cotta 1990, 73.

[13] Roger Penrose, Schatten des Geistes, Wege zu einer neuen Physik des Bewusstseins, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin Oxford, 1995, 524.

[14] John D. Barrow, Ein Himmel voller Zahlen – auf den Spuren mathematischer Wahrheit, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin Oxford, 1994, 16.

[15] Alfred North Whitehead, einer der Autoren der »Principia Mathematica« (1910-13), welche die Arithmetik logisch begründet, äußert sich später in seinem wohl wichtigsten Buch, »Prozess und Realität«, zur philosophischen Tradition Europas. Für Whitehead sei danach diese am sichersten als eine »Reihe von Fußnoten zu Platon« zu beschreiben.

[16] Plato, Sämtliche Dialoge, Band IV, Der Staat, übers. und hrsg. von Otto Apelt, Felix Meiner Verlag, Leipzig 1923, Siebtes Buch, 522 St.

[17] Plato, Sämtliche Dialoge, Band IV, Der Staat, übers. und hrsg. von Otto Apelt, Felix Meiner Verlag, Leipzig 1923, Siebtes Buch, 525St.

[18] Ludwig Wittgenstein, Culture and Value, Oxford 1980, 41

[19] Rudolf Taschner, Zahl, Zeit, Zufall. Alles Erfindung?, ecowin 2007, 182

[20] vgl. H.-P. Dürr: „Jedenfalls ist die Materie nicht aus Materie aufgebaut! Was wir finden sind „Wirks & Passierchen“ oder H. Lesch: „In der Physik sind Prozesse wichtiger als Substanzen.

[21] Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, 150. Digitale Bibliothek Band 3: Geschichte der Philosophie, 3412 (vgl. Heine-WuB Bd. 5, 263).

[22] vgl. Daniel Krochmalnik, Im Garten der Schrift Wie Juden die Bibel lesen, Sankt Ulrich, Augsburg 2006, 118.

[23] Die „rechte Weise“ versteht sich hier im pythagoreischen Sinne, in dem zwei widerstreitende Pole durch den bewusst gewählten rechten Winkel verbunden werden und so die neue Dimension, die Ebene bilden. Das Musterbeispiel ist das pythagoreische Dreieck der Seitenlängen 3, 4 und 5, das sodann exakt den Einheitskreis einschließt und zur Darstellung bringt.

[24] Ps 118,22; Mt 21,42; Mk 12,10; Lk 20,17; Apg 4,11; 1.Petr 2,7

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Zwei Kalenderordnungen

Veröffentlicht am 12. Dezember 2012

„  zwischen den Jahren“ oder das „zwischen den Dimensionen“

Wir sind ausgespannt zwischen den Polen, zwischen Himmel und Erde, oben und unten, rechts und links, vorn und hinten, gestern und morgen  Ganzheit und Gespaltenheit, Gut und Böse. Kurzum: Es ist der Zustand des Dazwischen-Seins, der offenbar unsere Existenz ausmacht und von dessen Bewältigung unsere Bewusstseinsentwicklung abhängt – aber auch getragen wird.

Dieses „Dazwischen-Sein“ hat viele Gesichter. Dennoch können wir versuchen, hinter all denen eine grundsätzliche Polarität zu erkennen, aus der jene Vielheit hervorgeht. Aus geisteswissenschaftlicher Sicht ist es das o.g. Gegensatzpaar „Ganzheit und Gespaltenheit“, für das die Zahlensymbole „1 und 2“ stehen. Bevor wir uns ihnen zuwenden, wollen wir die Zustände des „Dazwischen-Seins“ zunächst aus der naturwissenschaftlichen Sicht beleuchten.

Inhaltsverzeichnis

  1. Raum, Zeit und die Zahlenordnung  das Prinzip der Dehnung

1.1  Der materielle RAUM

1.1.1  Der Mikrokosmos

1.1.2  Der Makrokosmos

1.2  Die messbare ZEIT

  1. Vom Ding zum Prinzip  – ein neues Dazwischen, das Sein „zwischen den PRINZIPIEN“
  2. Das Fazit und die RELIGION
  3. Zwischen zwei KALENDERORDNUNGEN  –  die Zeit  „zwischen den Jahren“
  4. MYTHOS und BRAUCHTUM

 

  1. RAUM, ZEIT und die ZAHLENORDNUNG   das Prinzip der Dehnung

Wir leben in Raum und Zeit, den zwei Grundgrößen unserer Existenz. Beide Parameter bilden zueinander eine Polarität.[i] Die Ordnungsstruktur von Raum und Zeit erfassen wir mit Hilfe der Zahlenstruktur. Das Gemeinsame von Raum, Zeit und der Zahlenstruktur ist das Entstehen einer ersten, grundsätzlichen Ausdehnung. Die Größen Raum und Zeit sowie die sie verbindende Zahlenstruktur bringen das Phänomen der Dehnung hervor. Sobald die Spannung von Nähe und Ferne entsteht, entsteht das Dazwischen. Was „zwischen den Polen“ geschieht, ist Fluss. Dieser erfolgt wiederum gemäß der Ordnung der Zahlen. Immer sind es die Zahlen, welche alles miteinander verbinden. Über sie erfahren wir die Welt. Das ist Grund genug, uns die Größen Raum und Zeit einmal aus der Perspektive der messenden Zahlen anzuschauen.

1.1  Der materielle RAUM

       1.1.1  Der Mikrokosmos

Das, was wir mit großer Selbstverständlichkeit Materie nennen und womit wir alle Existenzen und somit auch unsere eigene so sehr identifizieren, ist in Wirklichkeit nur ein verschwindender Bruchteil von dem, was tatsächlich existiert. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich unsere Existenz als mehr, als nur Materie, Physis und Physik. Auch wenn uns das mitunter klar zu sein scheint, so sollen die nachfolgenden Betrachtungen die dahinter stehenden Dimensionen noch einmal verdeutlichen.

Alle Körper, auch unser eigener, bestehen aus den Atomen. Deren Materie und Masse beschränken sich im Wesentlichen auf den Atomkern. Der Abstand der Atome untereinander wird aber durch das aufgespannt, was wir mit dem Elektronenfeld bezeichnen und das den Löwenanteil des Raumes erfüllt. Würden wir uns einmal den Atomkern in der Größe eines Kirschkernes vorstellen, dann würde das ihn umgebende Elektronenfeld die Größe eines Fußballfeldes einnehmen. Solche Vorstellung macht deutlich, dass der Raum, den wir erfüllen im Wesentlichen nicht von Materie und Masse geprägt wird sondern von dem, was wir herkömmlich als Nichts bezeichnen.

1.1  Der materielle RAUM

1.1.2  Der Makrokosmos

Einen ähnlich bestürzenden Eindruck erhalten wir, wenn wir uns nicht dem Kleinen, dem Mikrokosmos der Atome, sondern dem Makrokosmos, dem kosmischen Raum zuwenden. Ein Blick in den nächtlichen Sternenhimmel lässt uns vor der schier unvorstellbaren, offensichtlichen Leere und Weite des Kosmos erschrecken. Unser messender Verstand wird von diesen Dimensionen einfach überfordert. In dem Augenblick, in dem unser messender Verstand schweigt, erahnen wir die Übermächtigkeit eines Ganzen, einer Einheit und Vollkommenheit. Gefangen in den Polaritäten können wir sie jedoch nicht gänzlich erfassen.

Was wir hingegen können und müssen, ist, uns den Polaritäten zuzuwenden. Diesen Weg beschreitet u.a. die moderne Kosmologie. Sie versucht, das Greifbare und scheinbar Dingliche zu erfassen und zu messen, indem sie die so genannte Gesamtdichte aller Materie und Energie im Kosmos ermittelt. Trotz der darin enthaltenen, gewaltigen Einschränkung stürzen uns die Messergebnisse wiederum in die Kleinheit.

Gerade einmal 5% der Gesamtdichte aller Materie und Energie im Universum bestehen aus der Art Materie, welche uns durch ihre physische Form bekannt ist und welche den Gesetzen der Physik gehorcht. Der „Rest“ ist uns weitgehend unbekannt. Er besteht aus naturwissenschaftlicher Sicht aus 22% dunkler Materie und 73% dunkler Energie, zwei existenzielle Erscheinungen, welche uns bis vor kurzem nicht einmal bekannt waren. Heute wissen wir zwar von ihrer Existenz, sie erscheinen uns aber vor unserem materiellen Blick völlig suspekt. Die dunkle Materie und die dunkle Energie existieren, weil sie wirken und wir ihre Wirkungen messen können. Sie wirken auf die physikalischen Parameter Raum und Zeit, sind von diesen aus aber nicht wirklich dinghaft zu machen. So scheinen sie „über oder außerhalb“ von Raum und Zeit zu existieren, den beiden Grundgrößen unserer Physik. Im Grunde können wir trotz der vorausgesetzten, gewaltigen Einschränkung nur über 5% des Kosmos physikalische Aussagen machen. Vom „Rest“ wissen wir so gut wie nichts – außer, dass er in unsere physische Welt hinein wirkt.

Positives erfahren wir allerdings, wenn wir uns als messende Subjekte zu dem Gemessenen selbst in Beziehung setzen. So können wir beispielsweise die polaren Dimensionen zwischen denen wir leben, den Mikrokosmos und Makrokosmos messen. Dabei stoßen wir auf ein Phänomen, dessen Symbolik den tieferen Zusammenhang verrät. Wir leben eigenartigerweise – auch mathematisch gesehen exakt zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos. Das ganz Kleine, also die Welt der Atome bewegt sich in einer Dimension von ca. 10-12 m. Das ganz Große, also das Sonnensystem hat einen Durchmesser von ca. 1012 m.

Dass unser linearer, messender Verstand von den gewaltigen Dimensionen des Mikrokosmos und des Makrokosmos jeweils überfordert wird, beschreibt nicht den ganzen Zusammenhang. Der gewinnt erst Konturen, sobald wir der Position und Aufgabe unseres Bewusstseins in der Spannung zwischen den Polen gewahr werden. Die Begabung des Bewusstseins, die Pole als ein Ausdruck von Ganzheit miteinander verbinden zu können, vermag es aus der Linearität und der Bedrohung ihrer Extreme herauszuheben.

1.2  Die messbare ZEIT 

Unsere Zeitordnung entspricht den planetarischen Gegebenheiten. Wer auf die für sie ausschlaggebenden Gestirne, Sonne und Mond und endlich auf seine Uhr schaut, weiß, dass unsere Zeitordnung von der Zwölfzahl geprägt ist.

Kurzum: Die Zeit ist nicht zu trennen vom Raum und der ihm zugehörenden Materie. Was wir bei der Betrachtung des Raumes erfahren, das begegnet uns ebenso bei der Betrachtung der Zeit. Sobald wir unseren Daseinshorizont in Hinblick auf ein größeres Ganzes erweitern, wird unsere Vorstellungskraft überwältigt. Das betrifft nicht nur die Raumverhältnisse sondern auch die Zeitverhältnisse. Die uns zukommende durchschnittliche Lebensspanne von 80 Jahren ist mit ihren beiden Polen „Anfang und Ende“ – wie jede andere Existenz ein Dazwischen. Vor unserer Geburt war die Unendlichkeit. Nach unserem Tod wird eine „andere“ Unendlichkeit existieren. Jeder Mathematiker wird die Spanne von 80 Jahren, die von zwei Unendlichkeiten umgeben wird, als gegen Null laufend qualifizieren und somit ruhigen Gewissens praktisch vernachlässigen. Eine solche, einmal von uns reflektierte Tatsache erhöht die Spannung „zwischen den Dingen“ ins Unerträgliche und wir fragen: Was ist unser Leben noch unter solchen Dimensionen? Was kann es noch bedeuten, wenn es derart in die Kleinheit geworfen wird?

  1. Vom Ding zum Prinzip  –  ein neues Dazwischen,

das Sein „zwischen den PRINZIPIEN“

So erschreckend die linearen, physisch-mathematischen Betrachtungen auch sind, so bleibt doch die Tatsache, dass wir in diesem Moment in denen wir sie anstellen, existieren (R. Descartes: „Cogito ergo sum“;  ich denke, also bin ich). Aus der uns anhaftenden dinglich-linearen Sicht heraus müssen wir konsequent schließen, dass unsere Existenz ein Wunder ist. Das Wunder aber ist geradezu das Gegenteil von Berechenbarkeit und dessen, was die Physik und deren Mathematik voraussetzen. Diese Art von Wissenschaften haben solche Betrachtungen erst möglich gemacht. Nun zeigen sie ihre eigenen Grenzen und einen neuen Horizont auf. Wer die wissenschaftlich gewonnenen Verhältnisse bewusst reflektiert, kommt zu dem Schluss, dass nicht oder zumindest nicht nur die allzu konkreten Dinge das Sein prägen sondern Beziehungen und Verhältnisse. Sie sind es, welche den vorangehenden Betrachtungen gemeinsam sind und den Fokus auf sich ziehen.

An dieser Stelle erhalten die Geisteswissenschaften ein neues Gewicht. Mit dem neuen Gewicht steigt die Gefahr, das „Dazwischen“ jeder Existenz zu übersehen und das Konkrete der Existenz geringzuschätzen. Nur das geschärfte Bewusstsein wird sein „Zwischen-Sein“ auf rechte Weise verstehen. Auf „rechte Weise“ bedeutet, nichts anderes als die notwendigen Gegenpole zu respektieren und zu verbinden.

Es ist richtig, dass das Leben im Allgemeinen und das menschliche Bewusstsein im Besonderen in einem „Zwischen“ existieren. Ebenso richtig ist es, dass dies nicht einfach nur ein „zwischen den Dingen“ ist, denn den Begriff der Dinge hatten wir soeben relativiert. Es handelt sich vielmehr um ein „Zwischen den Extremen“. Was nun die Extreme „konkret sind“, bleibt vorerst wiederum unklar und bedarf einer neuen, erweiterten Vorstellung. Man bedenke, dass die Vorstellung ihrerseits nicht ohne eine gewisse Dinghaftigkeit auskommt. Wenn wir das scheinbar Dinghafte in solcher Weise an die Extreme heranrücken und es so weitgehend entdinglichen, dann sprechen wir über Prinzipien. Insofern sprechen wir, wenn wir über unsere Existenz sprechen über ein Sein „zwischen den Prinzipien“.

  1. Das Fazit und die RELIGION

Um zu einem Fazit der Betrachtungen zu gelangen und eine Lebenshilfe und  Handlungsanweisung daraus abzuleiten, möchte ich zum einen noch einmal das Wesentliche zusammenfassen und zum anderen die Unterweisungsart benennen, welche die Lehre von der Natur (Naturwissenschaft) und die Lehre von den Geistprinzipien (Philosophie) in einem verbindenden Dazwischen zusammenfasst.

Zum Ersten (das Wesentliche): Das Leben und dessen Bewusstsein existieren und werden geprägt von einem „Dazwischen“. Das aber ist nicht im Sinne eines Dinglich-Statischen zu sehen sondern in Hinblick auf ein größeres Ganzes, das gerade erst durch die Existenz des „Dazwischen“ entsteht. Das Dazwischen ist eine Funktion, eine die Extreme verbindende. Andersherum ausgedrückt, existiert jenes Dazwischen nur und gerade dadurch, dass es die Spannung, die Differenz der Extreme untereinander, aufrecht erhält und nicht versucht, den einen oder anderen Pol zu eliminieren.

Zum Zweiten (die Unterweisungsart): Wir leben in der Mitte zwischen den Räumen, zwischen den Dimensionen, welche wir uns nur als nicht greifbare Extreme (Unendlichkeiten) vorzustellen vermögen. Das bleibt unbefriedigend und schließlich beängstigend. Begreifbar werden die Extreme dann, wenn wir beginnen, uns selbst als das in deren Mitte befindende Verbindende zu verstehen, wenn wir nicht eine vermeintliche Enge sondern die besondere Weite verspüren. Wie uns die Naturwissenschaften lehren, überwiegt „bei weitem“ die Weite. Wer Angst verspürt, verspürt Enge.

Wenn Leben sich durch ein „Dazwischen“ definiert, dann sollten wir, um zu leben, darauf achten, die Raum- und Zeitdifferenzen nicht zusammenfallen zu lassen sondern sie zu bewahren und auszuhalten. Leben existiert durch sie.

Wenn sich erst einmal die Empfindung von Enge einstellt, dann beginnen wir zu leiden. Die heilige Sprache des Sanskrit verbildlicht das durch die Worte Dukha (Leid) und Sukha (Freude). Dukha bedeutet „blockierter Raum“ und Sukha „offener Raum“.

Den Raum offen zu halten ist die Aufgabe der Religion. Dabei stellt sich unmittelbar die Frage nach der wahren Religion. Sie beantwortet sich zugleich aus denselben Prinzipien heraus: Im Mittelpunkt einer wahren Religion steht das verbindende und verbindliche Individuum der Mensch.

Hier ist eine Anmerkung vonnöten: Religion in diesem Sinne ist das, als was sie im ursprünglichen, genannten Sinn gedacht war und nicht das, was die Menschen jeweils daraus machen. Wie die Urväter des Christentums versucht haben, eine wahre Religion ins Bild zu setzen, das zeigt uns die spannungsreiche Ordnung zwischen dem weltlichen Kalender und dem Kirchenkalender.

  1. Zwischen zwei KALENDERORDNUNGEN  –  die Zeit  „zwischen den Jahren“

Unser Kulturraum weist dem Befinden des „Dazwischen-Seins“ kalendarisch einen besonderen Raum zu. Die Tage von der „Weihenacht, dem 24./25.12. bis zum Dreikönigstag, dem 06.01. des nachfolgenden Jahres bezeichnen wir mit „zwischen den Jahren“.

Sie durchbrechen die Normalität des Gewohnten und eröffnen eine Differenz, eine Spannung, welche der eine als angenehm und befreiend und der andere als unangenehm und bedrückend empfindet. In beiden Fällen erhält unser Bewusstsein „die Zeit und den Raum“ in besonderer Weise zu reflektieren, was bei der Vielfalt der Ordnungsangebote wirklich zählt. Zwischen der Geburt des Lichtes (Christus) am 25.12. und dem Dreikönigstag am 06.01. liegen 13 Tage bzw. 12 Nächte. Sie stehen für einen Erkenntnis- und Reifungsprozess (6. Januar ist der Tag der Taufe Christi), welcher durch die Wintersonnenwende, einem Zustand tiefster Dunkelheit  ausgelöst wurde. Er gleicht einem Leben das „zu dicht“ geworden ist und „dem der Raum zu leben fehlt“. Wenn wir uns nur noch auf das Kleine konzentrieren, dann wird es Zeit, in diesem Kleinen wieder das Große zu suchen und auch umgekehrt. Die Lösung ist das Verbindende und nicht das Erniedrigen oder Morden von einem der Pole. Leben braucht beide im rechten Verhältnis. Was wir unter dem rechten Verhältnis zu verstehen haben, verrät uns die Zahl 12. Sie steht für das geordnete Ganze, und sie wird uns im Verhältnis der zwei großen kalendarischen Ordnungssysteme vor Augen geführt. Dazu im Einzelnen:

Im Jahr 46 v.Chr. wurde im römischen Kalender der 1. Januar offiziell als Jahresbeginn festgeschrieben. Der Neujahrstag wurde schon damals mit ausschweifenden Feierlichkeiten mit Ess- und Trinkgelagen begangen.

Dem weltlichen Neujahrstag steht der christlichen Tradition nach der 6. Januar gegenüber, der als Hoch-Neujahr oder Oberster bezeichnet wird. Das Hoch-Neujahr trägt ferner die Bezeichnung Epiphanias (Erscheinung Gottes). Der im Volksmund meist als Dreikönigsfest bekannte Tag wird in Hin-Deutung auf die vergangenen 12 Reifungsnächte seit der Weihenacht auch als der Tag der Taufe Christi angegeben.

Die Weihenacht und das Hoch-Neujahr entstammen der Ordnung des Kirchenjahres. Wie verbindet sich nun die weltliche Ordnung mit der Kirchenordnung?

Der weltliche Neujahrsbeginn ist der 1. Januar. Das Kirchenjahr hingegen beginnt mit dem ersten der vier Adventssonntage. Die weltliche und die kirchliche Zählung differieren also nicht nur zueinander, sie zeigen vielmehr durch die unterschiedlichsten Ansätze ein besonderes Spannungsverhältnis auf. Ihr Widerspruch fordert das Bewusstsein der Menschen dieses Kulturkreises heraus, denn den Auswirkungen beider Traditionen kann sich kaum jemand wirklich entziehen. Der Mensch steht in den Tagen „zwischen den Jahren“ regelrecht zwischen den Traditionen.

Der 1. Januar, der weltliche Neujahrsbeginn liegt zwischen dem 24.12, dem Heiligen Abend und dem 06. Januar, dem Dreikönigstag, und er teilt diese Zeit noch nicht einmal hälftig. Die lineare Betrachtung wurde für eine Verbindung beider Ordnungssysteme von den Begründern der Kirchenordnung bewusst ausgeschlossen. Die zunächst verborgene Verbindung beider zielt auf ihren gemeinsamen Inhalt. Beide sprechen von einer Wieder- und Neugeburt. Die inhaltlich, symbolische Verbindung vom weltlichen Jahr zum Kirchenjahr wird deutlich, wenn wir bemerken, dass der Neubeginn des weltlichen Jahres zugleich der 8. Tag im Leben des Gottesmenschen Christus ist. Dabei spielt der Archetyp der Achtzahl eine besondere Rolle. Er symbolisiert eine Neumanifestation auf einer neuen und höheren Ebene. Mit der Zahl Acht wird eine vorangehende Qualität ihrem Prinzip nach in eine andere Ebene transferiert und neumanifestiert. So verbindet die Zahl Acht schließlich zwei Ebenen miteinander, welche zunächst scheinbar keine Verbindung zueinander hatten. In diesem Prinzip wird eine der höchsten religiösen Botschaften vermittelt. Was hier durch die Achtzahl, also in der Form einer Oktave zum Ausdruck kommt, vermittelt die Kirchenzählung innerhalb ihrer Ordnungsfolge durch die Zwölfzahl der Nächte zwischen dem 25.12 und dem 06.01., d.h. „der Zeit zwischen den Jahren“.

Dieses „Dazwischen“ hat, wie uns die Kalenderordnungen zeigen, viele Gesichter und Ebenen. Immer fordert es den Menschen heraus und macht ihn schließlich zu dem, was die vorgegebene Ordnung in der Evolution von ihm fordert.

  1. MYTHOS und BRAUCHTUM

Über die 12 Tage und Nächte „zwischen den Jahren“ existieren in verschiedenen Gebieten unterschiedliche Mythen und Brauchtümer. Nun sind Mythen ebenso wenig unmittelbar wahr, wie die Brauchtümer identisch sind. Ihr eigentlicher Gegenstand ist nicht das vordergründig Erzählte. Mythos und Brauchtum wollen über das Symbolische, die hinter ihnen stehende archetypische Ordnungsstruktur, deutlich machen.

Im Falle der hier angesprochenen zwei Kalenderordnungen und der diese Kalenderordnungen prägenden und sie auch noch verbindenden Zwölfzahl, dürfen wir eine besonders gewichtige Botschaft erwarten. Ihr Schlüssel ist die Zwölfzahl. Er wird uns das Gemeinsame hinter allem kundtun.

Zwölf ist die Zahl der Ordnung, weil sie die erste zweistellige und somit urtypische Zahl ist, welche die beiden ersten Zahlsymbole, Einheit (1) und Gespaltenheit (2) zueinander in Beziehung setzt und verbindet. Die Einheit und das Gespaltene widersprechen in der Regel einander. Hier in der Zwölfzahl bilden sie hingegen ein Ganzes. Jenes Ganze hat nun eine völlig neue Qualität (Emergenz). Sie wird möglich, weil sich die polaren Qualitäten befruchten und miteinander koexistieren.

Die 1 und die 2, das Vollkommene und das Gebrochene, das Schmutzige und das Saubere das Gute und das Böse usw. bilden ein Ganzes, ohne dass eines dem anderen seine Existenz streitig macht. Über diesen Aspekt verstehen wir dann auch die Mythen und Brauchtümer zu den 12 Tagen „zwischen den Jahren“.

Die 12 Nächte „zwischen den Jahren“ werden als die Raunächte (auch Rauhnächte oder Rauchnächte) bezeichnet. Der Begriff „rau“ verweist auf zwei scheinbar unterschiedliche Bilder. Zum einen verweist er auf das „nicht Glatte“, also bewusst auf jenes, welches trotz oder gerade wegen der Unebenheiten existiert. Zum anderen verweist der Begriff ebenso auf das mittelhochdeutsche Wort „rûch“, das „haarig“ bedeutet und den Bezug zum „Fell“ oder „Pelz“ herstellt (Ursprung der „Rauchware“), wie das die zugehörigen Mythen berichten.

Nach altem Volksglauben wurden die Raunächte von den dunklen Göttern beherrscht, die in der Gestalt haariger Dämonen ihr Unwesen trieben. Nur wer bereit war, mit ihnen umzugehen, der wurde von ihnen nicht nur verschont, sondern der wurde sogar noch mit der Fähigkeit, Zukünftiges zu erblicken, ausgezeichnet. Wer in diesen Tagen aber irgendwelche Wäsche gewaschen hatte, dessen Familie würde Böses bis hin zum Tod treffen.

Andere Erzählungen berichten von einer so genannten Wilden Jagd, böser Geister, Selbstmördern und haariger Ungeheuer, die angeführt von „Woden“ (Wotan) diejenigen heimsuchen, welche ausgerechnet reine, weiße Wäsche auf die Leine hängen. Ein aufgehängtes weißes Tuch würde dem Aberglauben nach zum baldigen Leichentuch werden. Im besten Falle war der Besitzer der Kleidungsstücke gezwungen, sich der Wilden Jagd der bösen Geister anzuschließen. Das so herausgeforderte Schicksal war eines mit Gleichlauf und Dauer, so wie es die Linearität der Leine symbolisiert.

Wieder anderen Berichten zufolge würden vor allem weibliche Göttinnen, wie die germanische Göttin Berchta (Frau Holle) mit ihren Kindern umherziehen und ihr Unwesen treiben. Das besondere Augenmerk dabei gelte der 12. Stunde und vor allem der ersten halben Stunde des Neujahrs (man beachte die gleiche Verwendung der Zahlen 1 und 2 in 12 und ½). In dieser Zeit müsse man die Türen verschlossen halten – mit Ausnahme der Hintertür! Durch die Hintertür komme nämlich der Segen ins Haus.

In all den Erzählungen spielt auf die eine oder andere Weise die Ordnung die entscheidende Rolle. In der einen Erzählung darf im Haus während der 12 Tage und Nächte einfach keinesfalls Unordnung herrschen und in der anderen wird die Ordnung durch das Prinzip des Aufspannens einer Wäscheleine oder des Wäschewaschens interpretiert. Einmal ist es das Aufspannen einer Wäscheleine, welche die (nur) lineare Ordnung ins Bild setzt und sich verbietet, weil sich die herumfliegenden Geister darin verfangen würden. Das andere Bild verbietet das Waschen der Wäsche selbst, weil damit ein subjektiv verachteter Teil aus der Welt geschafft werden würde, der aber zur Welt gehört.

Das Brauchtum will uns vermitteln: Die Geburt des Lichtes und die Geburt des Neujahrs bringen eine Spannung auf, welche die Normalität der Zeit sprengt. Die außergewöhnliche Zeit erfordert eine erhöhte Aufmerksamkeit. Sie verlangt das bis dahin scheinbar Undenkbare, nämlich die Verbindung der größten Gegensätze, hier die Verbindung der Sauberkeit mit dem Unsauberen. Wer „wäscht“ und den „Schmutz“ aus der Welt zu schaffen versucht, der wird endlich von den dunklen Gewalten, den Fell- und Raubtieren gefressen werden. Wer einen der beiden Pole „tötet“, der wird selbst dem Tod anheimfallen und sein sauberes, weißes Tuch wird endlich zu seinem Leichentuch werden.

Im Mythos der Raunächte entfaltet die Dunkelheit einerseits das in ihr enthaltene Drohpotential. Andererseits gibt diese „dunkle Zweiheit“ selbst nicht nur eine Anleitung zur Abwehr der Gefahr, sondern verweist darüber hinaus auch noch auf ihren notwendigen und förderlichen Gehalt, der zum Tragen kommt, sobald sie auf rechte und verbindliche Weise eingesetzt wird. Wenn der Mythos verlangt, dass nach Einbruch der Dunkelheit niemand manchmal auch nur die Frauen und Kinder mehr allein auf die Straße gehen darf, dann erweitert er die Sicht auf die Zweiheit vom Aspekt der Zwistigkeit hin zum Aspekt Zweisamkeit, wie sie in der Zahl 12 als Ausdruck des Ganzen sichtbar wird.

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siehe auch Artikel: Warum fallen die Wintersonnenwende (21./ 22. Dezember) und das Weihnachtsfest (25.12) und nicht zusammen?  ( xxx Link in Vorbereitung/ 25 Weihnacht Kopie.docx)

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[i] Die Physik kennt diese Grundpolarität unter dem erstmals von W. Heisenberg beschriebenen Begriff der so genannten Unschärferelation. Danach ist es unmöglich Ort (Raumgröße) und Impuls (Bewegungsgröße) gleichzeitig hinreichend genau zu bestimmen. Die Gegenpolarität beider Größen schließt das grundsätzlich aus. Ort und Impuls sind Ableitungen von Raum und Zeit.

Die dinglich orientierte Physik schlussfolgert aus dem Erkennen jener Grundpolarität, dass sich Teilchen nicht beliebig nahe kommen können. Ein „Dazwischen“ ist somit zwingend existent und für unsere Existenz im umfassenden Sinne bindend und verbindlich. Das erklärt, weshalb wir notwendigerweise in einer Mesowelt, einem Dazwischen leben, also in einer Welt zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos. Die beiden Extrempole für sich allein überfordern unsere Vorstellungen und verlangen nach einer prinzipiellen statt dinglichen Schau.

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