Die Symbolik der zwei Kalenderordnungen und ihr Bezug zum Sonnenwendereignis

 

Veröffentlicht am 21. Februar 2013

  –  oder warum fällt die Wintersonnenwende am 21./22. Dezember weder mit dem Neujahrsfest am 1. Januar noch mit der Geburt Christi am 25. Dezember zusammen?

Inhaltsverzeichnis

  1. Zwei Seiten einer Münze und das sie Verbindende das Symbolische
  2. Die verbindende Aufgabe der religiösen Ordnung
  3. Die Natur: das Eine und die Zahl 4
  4. Die christliche Religion und das Subjekt (5)
  5. Die zwei Kalenderordnungen und ihr Bezug zum Ereignis der Sonnenwende

     5.1 Die Differenz zwischen Wintersonnenwende und dem 1. Januar

     5.2 Die Differenz zwischen Wintersonnenwende und dem

           „Tag der Geburt des Subjekts“ am 25. Dezember

  1. Die Kalenderordnung – die Begegnung des Subjekts mit dem scheinbar Irrationalen

 

  1. Zwei Seiten einer Münze und das sie Verbindende das Symbolische

Der Zeitpunkt der Wintersonnenwende und der Augenblick der Geburt Christi, der Geburt des geistigen Lichtes, stellen zwei unterschiedliche Arten eines Neubeginns dar. Die Festlegung des Zeitpunktes der  Wintersonnenwende ist der Versuch, den Neubeginn aus der naturwissenschaftlichen Perspektive heraus zu erfassen, während die Geburt des Lichtes in der Person des Christuskindes das Phänomen eines Neubeginns aus einer geisteswissenschaftlichen Perspektive zu erfassen versucht. Beide Perspektiven verhalten sich wie die beiden Seiten einer Münze, die als ein Ganzes begriffen werden wollen.

Das Gemeinsame beider Kalenderdaten ist, dass sie uns auf zwei verschiedene Weisen zeigen, dass das Entstehen eines Neuen das profane Bewusstsein mehr oder weniger übersteigt und dass sie uns beide nach dem grundsätzlichen Wesen jeder (Neu-) Manifestation fragen lassen.

Die Suche nach den Kalenderdaten, welche in unserem Kulturkreis während der dunklen Phase des Jahres einen Jahreswechsel und somit eine „Neu-Manifestation“ symbolisieren, führt zu vier verschiedenen. Alle stehen für einen Neubeginn:

♦  21. Dezember: Sonnenwende / die naturwissenschaftlich-faktische Sicht

♦  25. Dezember: Weihnachten  /  die Symbolgeburt des Bewusstseins

♦  01. Januar: Geburt des neuen Kalenderjahres /die Struktur der weltlichen Ordnung

♦  06. Januar:  Hochneujahr (Dreikönigstag)        /die Struktur der geistigen Ordnung

 

Dem Inhalt nach können wir bei den vier Daten zwei unterschiedliche Sichtweisen ausmachen. Grob gesehen entsprechen diese dem fleischlichen Auge einerseits und dem geistigen Auges andererseits. Trotz der Abstraktion bleibt jedoch eine grundsätzliche Differenz. Ihr gehen wir nach, und sie wird uns – wie wir noch sehen werden zu deren Sinn führen, nämlich der Erkenntnis, dass wir aus dem „Dazwischen aller Existenzen“ (s. Aufsatz „Zwei Kalenderordnungen“/ >>Link einfügen<<) nicht herauskommen, jedenfalls nicht, ohne uns das Verbindende zwischen den Existenzen zu vergegenwärtigen. Das Verbindende zu finden, aber erfordert, das Symbolische hinter den Existenzformen zu erfassen.

Der Mensch steht durch seine Existenz in der Polarität. Sein Geist aber strebt der Einheit zu. Auf seiner Suche wendet er sich notwendigerweise Einzelheiten zu. Diese aber sind immer „nur“ Formen, d.h. Repräsentanten der ursprünglichen Einheit. Immer, wenn der Mensch glaubt, eine Einheit dingfest gemacht zu haben, wird er bei genügender Vergrößerung des von ihm Gefundenen Unregelmäßigkeiten und Abweichungen entdecken. Wir kennen das Prinzip aus der Geometrie. Ein Kreis, ein Dreieck oder ein anderes symmetrisches Gebilde ist ein solches nur in der Welt der Ideen und Ideale. Analog verhält es sich mit der Ordnungssuche mit Hilfe von Kalendern. Das Andere, das vom Ideal Abweichende ist nicht aus der Welt zu schaffen. Vielmehr muss man mit ihm leben, es verstehen und endlich dazu nutzen, die Einheit in einem weiteren Grade zu offenbaren.

 

  1. Die verbindende Aufgabe der religiösen Ordnung

Aus der Vielheit der Erscheinungen heraus die alles verbindende Einheit zu offenbaren, das ist die vornehmliche Aufgabe aller Religionen. Ihr Werkzeug ist die Symbolik, insbesondere die der Zahlenarchetypen. Deshalb wird sich ihre Kalenderordnung über die Zahlenarchetypen erschließen.

Die Kirchenlehrer haben die ältere, weltliche Kalenderordnung vorgefunden. Ihre Absicht bestand nun nicht darin, diese zu korrigieren oder gar zu negieren. Sie wollten vielmehr dieser einen weiteren, erhellenden Pol gegenüberstellen, der zwei Aufgaben erfüllen musste: Zum einen sollte die religiöse Kalenderordnung zahlensymbolisch in sich stimmig wirken und zum anderen musste sie ein Verknüpfungselement zwischen den dann existierenden zwei Ordnungssystemen einsichtig werden lassen. Die Verknüpfung der Ordnungssysteme habe ich im Wesentlichen schon im Aufsatz „Zwei Kalenderordnungen“ vorgestellt. Sie entsteht u.a. dadurch, dass der 8. Lebenstag, d.h. die Oktave des erwachenden Bewusstseins zugleich der weltliche Neujahrstag ist. Hier geht es mir nun vor allem darum, die innere zahlensymbolische Stimmigkeit des Kirchenkalenders und seine Aufgabe zu verdeutlichen.

Religionen und Zahlensymbolik verbinden Gegensätze. Sie stellen Einheit her. Das Symbol für die Einheit der Gegensätze als „ein Ganzes“ ist die Zahl 12 (als „1“+2). In ihrem Sinne musste die Religion das Große, den Sonnenrhythmus (1) und das Kleine, den Mondrhythmus (2) miteinander verbinden. Deshalb gibt es im Kirchenjahr variable, auf den Mondrhythmus basierende Feiertage, deren Hochzeit Ostern ist und auf den Sonnenrhythmus basierende Festtage (d.h. stets „fest“ bleibend), deren Festzeit (im unmittelbaren und übertragenen Sinne) die Weihnachtszeit ist. Erst im Verbinden beider Existenzen, im verbindlichen Tun, entsteht bewusstes, religiöses Leben als eine neue Qualität des Bewusstseins.

  1. Die Natur:  das Eine und die Zahl 4

Der Jahresrhythmus wird von 4 natürlichen, astronomischen Zeitpunkten bestimmt. Das sind die sich zweimal im Jahreslauf ereignenden Tagundnachtgleichen am 22./23. September und 20./21. März, sowie die sich ebenfalls zweimal im Jahreslauf ereignenden Sonnenwenden am 20./21. Juni und am 21./22. Dezember.

Während die Tagundnachtgleichen, wie es ihr Name sagt, von der Ausgeglichenheit und so empfundenen Harmonie zwischen Tag und Nacht geprägt sind, bilden die zwei Sonnenwenden die Extreme dazu. Sie markieren den Tag oder die Nacht, an denen die Sonne ihren höchsten bzw. niedrigsten Stand erreicht hat und ihre scheinbare Bewegung dann wieder umkehrt.

Die Extreme sind es, welche wir nicht recht zu fassen vermögen und durch welche wir uns in unserer Existenz bedroht fühlen. Insbesondere ist es die Zunahme des Nacht-Pols, die uns scheinbar bedroht und dessen Begrenzung wir sehnlich erwarten.

Tritt dieser Augenblick dann ein, dann empfinden wir ihn als den Beginn einer Neu- und Wiedergeburt des Lebens. Wenn die Sonne ihren Tiefststand erreicht hat und „rückläufig wird“, steht sie für uns einen theoretischen Augenblick lang still. Jener Augenblick ist im Konkreten nicht wirklich greifbar, denn er kann nur in einer nichtendenden, irrationalen Zahl ausgedrückt werden. Und doch ist jener Augenblick gerade der, welcher der Wirklichkeit am nächsten kommt. Entgegen unseres Augenscheins bewegt sich die Sonne nicht wirklich, sondern steht im Zentrum des Ganzen still und bildet geradezu dieses Zentrum.

Jene ideelle, im Zentrum allen Seins stehende Ganzheit ist der „Gegenstand“ jeder Religion. Die Sonne und ihr Licht stehen für sie, und sie sind demzufolge unser größtes Mysterium. Wie uns das Gleichnis der Sonnenwende zeigt, können wir es im Konkreten aber nicht gänzlich erfassen, jedenfalls nicht mit ausschließlich dinglichen und physikalischen Parametern wie den nur zählenden Zahlen und den dem Rechnen zugeordneten Formeln. Selbst die vier gemessenen Grunddaten, die zwei Tagundnachtgleichen und die beiden Sonnenwenden erweisen sich, sobald sie gemessen werden, als variabel. Das Messen lässt uns vorübergehend auf Verlässlichkeit hoffen, entzieht sie uns aber bei genauerem Hinsehen wieder. In diesem Sinne greifbar wird uns die Welt nicht. Wohl aber lässt sie sich begreifen, sobald wir die Elemente des Geistigen hinzuziehen, jene Urtypen aller Existenzen, von denen uns die Zahlen erzählen.

Die Grundbotschaft der Zahlenqualitäten manifestiert sich in besonderer Weise in der Zahl Vier. Ihr Symbol steht für die Manifestation aller Existenzen, weshalb es einer Weltformel gleichkommt.  Auch begegnen wir der Vier erstmals bei der Analyse des Jahresrhythmus in den o.g. vier natürlichen, astronomischen Zeitpunkten, den Tagundnachtgleichen und den Sonnenwenden. Trotz der stets variablen, dinglichen Messwerte bleibt das Anfangs- und Ursymbol erhalten: eine Sonne und vier diskrete Erscheinungen! Um welche Kultur und um welche Wissenstradition es sich bei der Kalendererstellung auch immer handelt, stets basiert sie auf dieser gleichen Urordnung.

  1. Die christliche Religion und das Subjekt (5)

Ein Neubeginn ist nicht einfach nur das Hervortreten einer neuen Qualität. Das Hervortreten bedeutet vor allem dessen Wahrnehmen und das erfolgt immer durch das schauende Subjekt. Für dieses schauende Subjekt steht die Zahl 5. Sie, die Zahl 5, das schauende Subjekt aber ist selbst zweifacher Herkunft und muss, um die Dinge im Außen einen zu können, seine beiden Herkunftsqualitäten, das Ganze (1) und das Gebrochene (2) alias Geist und Materie in sich vereinen. Dazu muss es zunächst selbst einen Transformationsprozess durchschreiten. Das Subjekt muss das Nur-Subjektive als das es sich zunächst begreift, mit Hilfe seiner Subjektivität überwachsen. Mit anderen Worten: Es muss vom Subjekt zum Individuum, zum „Ungeteilten“ werden. Das ist ein Akt der Wahrhaftigkeit. Zahlensymbolisch steht dafür das Prinzip des Quadrierens. Konkret wird dabei aus der 5 eine 25 (52). Die Geburt des sich seiner selbst bewusst werdenden Subjektes, alias des sich selbstreflektierenden Lichtes, musste deshalb auf den 25. Dezember gelegt werden. Die 25 ist etwas „Besonderes und Einmaliges“. In der Reihe der Zahlen verwirklicht sie als solche die ureigene Qualität der Primzahlen, ohne hingegen selbst eine solche zu sein oder sein zu müssen. Die 25 ist etwas Besonderes eben gerade dadurch, dass sie nichts Besonderes mehr sein will! Das erhebt sie noch über die Primzahlen, die endlich „doch nur alle Primzahlen sind“. Ich habe die Zahl 25 deshalb in meinem Buch einmal die Superprime genannt (s. S. 175). Die 25 eröffnet den Weg des Gottesmenschen, der über die Vierheit des Kreuzes, die Ohnmacht einschließend, der noch höheren Macht teilhaftig wird.

Der Weg dorthin geht über das Konkrete und erschließt schließlich das höhere Geistige. Er wird u.a. auch im Verhältnis der beiden Kalenderordnungen symbolisch sichtbar gemacht. Die 25 nimmt, wie wir im Einzelnen noch sehen werden, im christlichen Kalender eine Mittlerrolle ein zwischen der von der Natur vorgegebenen Sonnenwende und dem vom Subjekt bestimmten Neujahrsbeginn.

Jeder Kalender beginnt mit der Festlegung des Neujahrtages. Die Festlegung ist weitgehend subjektiv und sie erfolgte in den Kulturen entsprechend unterschiedlich. Hinter dem „ersten Datum“ verbirgt sich aber stets ein System von Symbolen, das seinerseits auf die Ursymbolik der Zahlen zurückgeführt werden kann. Hier nun wollen wir einen Blick auf das Symbolsystem unserer römisch-christlichen Tradition werfen, in welcher der 1. Januar zum Jahresbeginn wurde.

Nach dem noch älteren, antiken römischen Kalender war der 1. März der Neujahrsbeginn. Im Jahr 153  v. Chr. wurde er verlegt auf den 1. Januar. An dem nun neuen „ersten Tag“ traten die höchsten Konsuln ihr Amt an. Der Amtsantritt entsprach einer „Erstmanifestation“. Entsprechend prägten die Konsuln mit ihren Namen dann die Jahre. 200 Jahre später (46  n. Chr.) wurde der 1. Januar auch im römischen Kalender endgültig und offiziell als Jahresbeginn festgeschrieben. Schon damals wurde der Neujahrstag mit ausschweifenden Feierlichkeiten mit Ess- und Trinkgelagen begangen.

Trotz der frühen, römischen Festlegung des Jahresbeginns auf den 1. Januar entwickelten sich viele andere und unterschiedliche Vorstellungen von einem „ersten, maßgebenden Tag“ im Jahreslauf. Erst 1691 beendete Papst Innozenz XII. die bis dahin unterschiedlichen Handhabungen der Jahreszählung und setzte wieder den 1. Januar amtlich als Jahresbeginn fest.

 

  1. Die zwei Kalenderordnungen und ihr Bezug zum Ereignis der Sonnenwende

Die Gegenüberstellung der beiden Kalenderordnungen eröffnet nahezu nur Differenzen. Um dennoch Gemeinsamkeiten zu entdecken und nachvollziehbar zu machen, bedarf es der nachfolgenden Abbildung:

5.1 Die Differenz zwischen Wintersonnenwende und dem 1. Januar

Beim ersten Blick auf die sogenannte weltliche Kalenderordnung erscheint es unverständlich, weshalb nicht unmittelbar die Wintersonnenwende als Jahresbeginn definiert wurde, sondern der erst 10 Tage später fallende 1. Januar. Die Wintersonnenwende wäre als eine der vier natürlichen Jahreslaufdaten von jedem nachvollziehbar. Der Grund besteht darin, dass sich bei genauerem Hinsehen, alle vier Daten in einem geringen Umfang als variabel erweisen. Doch wissen wir auch, dass sie alle vier zusammengehören und ein Ganzes bilden. Das wahrnehmende Subjekt erschaut mehr als es zu messen vermag und spielt bei all dem eine entscheidende Rolle. Auch empfinden wir subjektiv, dass die Wintersonnenwende eine besondere Bedrückungssituation hervorruft. Beide Umstände, die uns Hoffnung gebende aber sich uns dennoch entziehenden Daten der Vierheit und der ebenso bedrückende dunkle Pol der dunkelsten Nacht, verweisen auf das dies alles wahrnehmende Subjekt, das in seiner Qualität darüber hinausgeht und mehr sieht. Nichts anderes als das Subjekt ist es, welches durch seine Schau, seine Sichtweise, den Fortgang der Entwicklung manifestiert. So, wie das Subjekt die Dinge festlegt, so wird Entwicklung geschehen. Waren die vier messbaren Daten noch variabel, so entsteht durch das festlegende Subjekt nun ein „Festtag“ im eigentlichen Wortsinn. Seine Existenz prägt alles Kommende. In der antiken römischen Ordnung waren das die Konsuln am 1. Januar (s.o.), in der christlichen Ordnung ist das die Geburt des Lichtes am 25.12.

Mit der bewussten Entscheidung erwählt das Subjekt eine neue, diesmal „feste“ Qualität. Nicht mehr Zeit und Minute stehen im Vordergrund, sondern der Umstand als solcher, der Augenblick des Subjekts.

Zwischen dem Wahrnehmen der dunkelsten aller Nächte (Sonnenwende) und der „Nacht des Jahres-Aufgangs“ (1. Januar) liegen „10 ganze Tage“. Erst nach deren Erscheinen wird die einst bedrohende, dunkle Nacht zur Festnacht und zum echten Neubeginn. Erst wenn das Subjekt die Ganzheit (1 bis 10) schaut und die Andersheit und Dunkelheit den ihr gebührenden Platz in dieser Ganzheit erteilt, dann ist Festzeit. Sobald das geschehen ist, wird aus der „Nacht 1“ (21./22) die „Nacht 11“ (31.12/01.01). In der nun neuen, gewandelten Nacht ist der andere, dunkle und vermeintlich böse Pol nicht mehr ein bedrückender, sondern ein die Polarität (1-1) und Ganzheit (1) überschauender. Gemäß dem Archetyp der Zahl 11, der für Polarität und Symmetrie steht, wird die Polarität als eine Zweiheit vor dem Hintergrund eines symmetrischen Verhältnisses begriffen, der alle Teile auf die Einheit bezieht. In dieser 11. Nacht, der Silvesternacht, beginnt der Januar, eine neue Qualität. Ihr Namensgeber ist der doppelköpfige Gott Janus, der nach zwei Seiten schauenden Gott des Anfangs.

 

5.2  Die Differenz zwischen Wintersonnenwende und dem „Tag der Geburt des Subjekts“ am 25. Dezember

Um die Frage zu beantworten, welche Ur-Beziehung zwischen dem natürlichen Sonnenwendereignis am 20./21. Dezember und dem „Tag der Geburt des Subjekts“ am 25. Dezember besteht, müssen wir wissen, welche Aufgabe die Religion hat. Die Aufgabe der Religion ist das Zusammenbringen und Zusammenhalten der scheinbar unvereinbaren Pole. Solche sind u.a. Materie und Geist, alias Welt und Religion. Um „Dinge zu einen, die scheinbar keinerlei Verbindungen zueinander haben“ (s. Pythagoras) muss zunächst deren Spannung zueinander deutlich werden. Das erreicht die Religion, indem sie der weltlichen, d.h. dinglichen Ordnung exemplarisch eine tiefergreifende, geistige Ordnung hinzufügt. Erst in der Verbindung beider kann deren fruchtbare Zusammengehörigkeit aufgedeckt werden.

Näheres dazu habe ich im Aufsatz „Zwei Kalenderordnungen“ dargelegt. Hier nun soll weiterführend gezeigt werden, wie der „Tag der Geburt des Lichtes“, der 25.12. zum verbindenden Glied zwischen den natürlichen Gegebenheiten der Sonnenwende einerseits und dem „Tag der Geburt des neuen Jahres“ (1. Januar) andererseits werden kann.

Die weltliche Ordnung macht die 11. Nacht zur Silvesternacht und stellt prinzipiell der 1. und dunkelsten Nacht die Nacht der erkannten und somit „erlösten Polarität“ gegenüber. Das Erkennen und daraus hervorgehende Erwählen ist ein Bewusstseinsakt des Subjektes, welcher die Zukunft prägt. Die Amtseinführung der Konsuln im antiken Rom am 1. Januar setzt das ins Bild. Auf diese Weise wird die unverzichtbare Rolle des Subjektes bei der Manifestation eines Ersten und Festen deutlich gemacht. Seine ganzheitliche (göttliche) Herkunft, Würde und Schöpferkraft kommt so zum Ausdruck.

Die aus dem Subjekt heraus erfolgende Festschreibung begründet sich in dessen Fähigkeit, sowohl die Ganzheit, als auch die Gebrochenheit als Ganzes in den Blick nehmen zu können. In der Beziehung des Sonnenwendereignisses am 20.12/21.12.  zum Neujahrstag am 01.01. wird das, wie beschrieben, durch die Zehnzahl der zwischen ihnen liegenden Tage erklärt. Die Zehn ist eine zweifache Fünf. Die Fünf ist das schauende Subjekt. Seine Sicht ist notwendig einseitig. In der Zehn tritt die ihr fehlende, polare Sicht hinzu. Das erst macht die Sicht zur wahren „Einsicht“. Die Zahl Eins entfaltet durch sie ihren vollkommenen Charakter. Am Neujahrstag manifestiert sich jene Qualität. Ab diesem Tag soll das Individuum, das sich selbst reflektierende Ungeteilte, in der Lage sein, in einer zweifachen und verbindlichen Weise, die Ganzheit der Schöpfung sehen zu können.

Der Symbolik des 01.01., welche von den zwei Seiten des Subjekts geprägt ist, geht eine einfache Symbolik voran, welche die Beziehung des gleichen Subjekts zum Sonnenwendereignis definiert. Sie wird mit dem auf den 25.12. festgelegten Weihnachtsfest ins Bild gesetzt.

Die Religion versucht mit dieser Terminierung die näheren Zusammenhänge und Gesetze, aus welchen heraus das Subjekt überhaupt entsteht, zu erhellen. Indem sie die Geburt des schauenden, göttlichen Subjektes auf den 25. Dezember vorverlegt, wird das Subjekt in Beziehung zu einer alles grundlegenden Vierheit gebracht, denn als Folge dieser Festlegung wird die vierte Nacht zur heiligen Nacht.

In der neuen, verfeinerten Ordnung erhält die Vierzahl das entscheidende Gewicht. Der Geburt des göttlichen Subjektes geht etwas voraus, welches sodann in der vierten Nacht manifest wird. Das Subjekt und dessen Bewusstsein ist in dieser Ordnung nun eine notwendige Folge der vorangehenden Vierzahl. Das Subjekt (5) steht nicht mehr außerhalb sondern innerhalb eines Gesetzes (1-4).

Was am 1. Januar mit der Entscheidung der Konsuln noch dem Zufall nahestand, erhält mit der Erklärung des 25.12. aus dem Gesetz der Vierheit einen gesetzlichen Rahmen. Der Zufall wird nicht abgeschafft aber einem Gesetz unterordnet und umfassender verstanden. Die Entstehung des Subjektes und seines Bewusstseins ist alles andere als Zufall. Sie ist Gesetz und dieses Gesetz begründet sich in der Vierzahl. Deshalb beginnt das Kirchenjahr mit dem ersten von vier Adventssonntagen. An deren Ende steht die Geburt der Fünfheit. Den immer dunkler werdenden 4 Sonntagen folgt die Geburt des Lichtes (5). Die Vierheit der Adventssonntage konzentriert sich noch einmal in den 4 dunklen Nächten vor der Geburt des Lichtes. Mit ihm beginnen die Tage des nach und nach erwachenden Bewusstseins.

Vor der Geburt des Bewusstseins existiert bereits sowohl die göttliche Vollkommenheit als auch deren unentwegte Fortentwicklung. Im natürlichen Jahresrhythmus symbolisieren das die 4 diskreten, astronomischen Zeitpunkte im Sonnenlauf. Im christlichen Kalender sollen das die 4 Adventssonntage bzw. die 4 Nächte vor dem 25.12. verdeutlichen. Der jüdische Schöpfungsmythos beschreibt diesen „Paradieszustand“ wiederum mit dem symbolischen Garten Eden und seinen 4 Flüssen. Immer ist der Ausgangspunkt die Vollkommenheit der Vierzahl. Die Fortentwicklung solcher Vollkommenheit noch vor dem Auftauchen des Bewusstseins (5) könnte man mit der unaufhörlichen Höherentwicklung der Vierheit beschreiben (analog 1-4-40-400-4000 usw.). Diese Art Vollkommenheit wird in der biblischen Zahlenfolge 1-4-40, welche für den vollkommenen, göttlichen Erdboden (hebräisch >adama<) steht, ausgedrückt.

Aus jenem vollkommenen Erdboden heraus entsteht ein Gegenpol, der erstmals diese vollkommene Existenz reflektieren kann. Das ist der Mensch, ein „Erdling“, der zunächst noch den hebräischen Namen seiner Herkunft trägt: Adam (1-4-40). Seiner Potenz nach ist er aber schon eine neue Qualität – eben die Fünfzahl. Die Bewusstseinsentwicklung des Erdlings beginnt in dem Augenblick, in dem er den Garten Eden („Wonne“) verlässt, ihm polar gegenübertritt und die Polarität reflektieren lernt. Das nun potentiell zur Reflexion fähige Bewusstsein (5) reflektiert nicht nur den Erdboden sondern aus diesem entstanden, auch sich selbst. Für die Fähigkeit der Selbstreflexion steht die Fünfzahl, welche sich auf sich selbst bezieht. Das symbolisiert die Zahl 25 als das Quadrat der Fünf (52 = 25).

Mit der Geburt des Lichtes (Bewusstseins) beginnt eine Bewusstseinsentwicklung. Ihre Phasen werden in der heiligen Schrift sukzessive dargelegt. Die christliche Kalenderordnung versucht diese Phasen mit den Zahlen der Daten symbolisch einzufangen. So gilt beispielsweise der 8. Lebenstag nach dem jüdischen Gebot als der Tag der Beschneidung des Jesuskindes. Der 8. Lebenstag ist zugleich der 1. Januar, der Tag der weltlichen Neugeburt. Was „in die Welt hinein geboren wird“, das ist notwendigerweise begrenzt und durch die notwendige Begrenzung auch ausgerichtet. Ausgerichtet sein bedeutet in der Terminologie des Menschlichen, orientiert zu sein. Für diese Qualität steht die Zahl Acht. Im Judentum werden die Kinder jeweils am 8. Tag beschnitten.

Der Neujahrstag (1.1.) manifestiert die Welt neu. Die Zahl der Manifestation ist die Vier.  Die Acht steht für die Manifestation in einer neuen, höheren und zweifachen Weise. Durch sie wird Materielles und Geistiges manifestiert. Das Ritual der Beschneidung setzt  diese Qualität ins Bild.

Der 1. Januar ist im Heiligenkalender der katholischen Kirche das Hochfest der heiligen Gottesmutter Maria. Das die Ganzheit gebärende Mutterprinzip Maria steht für die Zahl 4. Sie manifestiert Neues, indem sie nicht nur Gewöhnliches gebärt, sondern zugleich den neuen Geist. Wenn die Kirchenlehrer das Hochfest der heiligen Gottesmutter Maria auf den 1. des Jahres fallen lassen, dann soll das die unauflösliche Verbindung der Qualitäten der Zahlen 1 und 4 symbolisieren. Wir kennen sie als das Weltgesetz 1-4.

Die Entwicklung des erwachenden Bewusstseins endet nicht am 8. Tag sondern geht weiter. Am 13. Lebenstag geschieht wiederum eine Neumanifestation. Die Zahl 13 ist aus theosophischer Perspektive (13 „=“ 1 + 3 = 4) auch eine Ausformung der Vierzahl. Die diesmalige, der Manifestation geschuldete „Beschneidung“ ist keine körperliche mehr, sondern nun eine höherer, d.h. geistiger Art. Im 13. Lebensjahr wurde Ismael, der Urvater aller Muslime beschnitten und am gleichen Tag auch Abraham, der Urvater der drei großen Religionen, Judentum, Christentum und Islam (Gen 17,25 f)[i].

Der 13. Lebenstag im Leben des christlichen Bewusstseins ist der 06. Januar, der Dreikönigstag oder auch Hochneujahr genannt. Er gilt auch als der Tag der Taufe Christi. Mit dieser Neugeburt wird das christliche Bewusstsein im Glauben orientiert. Bis zu dieser Neuorientierung am 06.01., dem Hochneujahr, sind dann seit Geburt 12 Nächte vergangen. Sie gelten als die sogenannten 12 Raunächte, in denen das erwachende Bewusstsein vielen Spannungen und Gefahren ausgesetzt ist (s. Aufsatz „Zwei Kalenderordnungen“).

 

  1. Die Kalenderordnung – die Begegnung des Subjekts mit dem scheinbar Irrationalen

So sehr der Mensch zur Orientierung auch eine Kalenderordnung braucht, so schwierig gestaltet sich deren Festlegung, denn sie stößt auf das Grundproblem jeder Existenz: Je genauer man die Dinge in zählender Weise „dingfest“ machen will, um so mehr entziehen sie sich diesem Vorhaben. Das gilt für die moderne Physik, ebenso wie für die Grundlagen der Kalenderordnung. Letztere basiert auf drei von der Natur vorgegeben Grundrhythmen, dem Tag als Folge der Erdrotation um die eigene Achse, dem Monat als die zyklische Veränderung des Mondes und dem Jahr als Folge des Erdumlaufes um die Sonne. Alle drei Grundrhythmen sind nicht wirklich konstant. Sie variieren und stehen vor allem untereinander in keiner einfachen mathematischen Beziehung. Die rechnende Methode allein führt daher zu keiner eindeutigen und unproblematischen Kalenderordnung. Ohne eine vom Subjekt vorzunehmende Erwählung finden wir keine solche. Die Kriterien, die zur Entwicklung der christlichen Kalenderordnung geführt haben, basieren, wie wir sehen können, auf den Qualitäten der Zahlen.

Man kann bei den angeführten Argumenten es kaum dem Zufall zurechnen, dass unter all den entstandenen Kalenderordnungen sich weltweit gerade die Kalenderordnung durchgesetzt hat, welche auf dem christlichen Glauben und auf dem Dezimalsystem beruht.

Das Kirchenjahr ist eine relativ späte Entwicklung. Doch es basiert auf natürlichen, qualitativen Gegebenheiten, welche schon vor Jahrtausenden bemerkt und rituell verarbeitet wurden. So war der 25. Dezember, an dem wir heute die Geburt Christi feiern, schon bei den Ägyptern ein besonderer Feiertag. Sie nannten ihn den „26. Chojak,“ den „Tag der Wiedergeburt des Gottes Osiris“. Der Überlieferung nach schien die Sonne an diesem Tag umzukehren. Die Parallele zum Mythos der Geburt des christlichen Gottessohnes ist kein Zufall. Die Ägypter beriefen sich auf die gleichen Zahlsymbole.

Im Jahrtausende alten ägyptischen Kalendersystem zählte das Jahr schon 365 Tage. Alle 4 Jahre gab es ein Schaltjahr. Das Jahr wurde in 3 Jahreszeiten mit jeweils 4 Monaten â 30 Tagen eingeteilt. Die zu den insgesamt 365 Tagen fehlenden 5 Tage wurden dem letzten Monat des Jahres angehängt. Am Ende der von der Natur vorgegebenen Vollkommenheit stand wiederum die Fünfzahl. Sie symbolisiert ein über-die-Natur-Hinausgehendes. Die Fünfzahl steht für das die Ganzheit reflektierende Bewusstsein. Im Mythos ist das die „Geburt des göttlichen Subjekts“ und so galten im ägyptischen Kalender die letzten 5 Tage als die Geburtstage der Götter Osiris, Horus, Seth, Isis und Nephytis.

Das sich und die Ganzheit reflektierende Bewusstsein (5) wird immer sogleich konfrontiert mit der Polarität der Polarität von Subjekt und seinem Gegensubjekt. Der Osiris-Mythos problematisiert die daraus entstehenden Gesetze der Reibung. Der Mythos endet mit der Wiedererstellung der Ganzheit indem die vermeintliche böse Halbheit in das größere Ganze integriert wird. Für die endlich notwendige, fruchtbare Verschmelzung von Individualität (+5) und Gegenindividualität (-5) stehen viele Zahlensymbole. Der Osiris-Mythos bedient sich der Zahl 14. Im jüdisch-christlichen Mythos steht für diese höhere Ganzheit der Gottesname JHWH mit seiner Zahlensymbolik 10 = 5 + 5, wie sie im Dekalog (10 Gebote) ausgeführt wird.

Die Ägypter kannten die im Dekalog dezidiert zweifach begründete und noch heute gültige 7tägige Woche zwar noch nicht. Sie kannten anstatt des Siebener-Rhythmus den 10tägigen Dekan. Doch die im Osiris-Mythos symbolisch beschriebene Ganzheit bedient sich der Zahl 14. Die Zahl 14 macht zweierlei: Sie bedient sich zum einen in ihren Teilen der bekannten Symbole 1 und 4 und sie symbolisiert zum anderen die Ganzheit durch eine Zweiheit – die zweifache Siebenheit.

Die hinter den verschiedenen Kalenderordnungen stehenden Zahlensymbole weisen zueinander formale Unterschiede auf.  Hinter allen aber steht ein und das gleiche Grundthema: die Eingliederung des zur Welt der Schöpfung gehörenden negativen Pols. Das Nichtberechenbare und Irrationale, das scheinbar die Ganzheit Bedrohende soll vom Bewusstsein eingefangen werden.

Besonders eindrücklich haben die Ägypter diese hohe Aufgabe im Ramses-Tempel in Abu Simbel zur Anschauung gebracht. Am 21.-23. Juni, zur Sommersonnenwende, fällt für kurze Zeit das Licht der Sonne tief in den Tempel hinein und bestrahlt einmal im Jahr den gottgleichen Pharao. Das geschieht genau in dem Augenblick, indem die Sonne ihren „jährlichen Niedergang“ beginnt. Der Niedergang der Sonne wird in diesem Schauspiel mit der Erhellung des Bewusstseins verbunden. Man könnte metaphorisch sagen, dass der Mensch erleuchtet wird, der (auch) im Untergang erstrahlt.

Die Natur spricht den Menschen konkret an. Wendet er sich ihr aber zu, so erweist sie sich als relativ und in endlicher Konsequenz als „unkonkret“ und „ungreifbar“. Das genügt den Menschen nicht. Im Schauspiel von Abu Simbel antwortet der Mensch auf die Ansprache der Natur mit dem „Über-Natürlichen“. Was er von der Natur als Untergang des Lichtes erfährt, das verwandelt er zu einem inneren Aufgang des Lichtes. Im „Über-Natürlichen“, der Kunst im weitesten Sinn, findet er Heimat.

[i]Und sein Sohn Ismael war dreizehn Jahre alt, als er am Fleisch seiner Vorhaut beschnitten wurde. So wurden an eben diesem Tag Abraham und sein Sohn Ismael beschnitten und alle Männer seines Hauses, der im Haus geborene und der von einem Fremden für Geld gekaufte  wurden mit ihm beschnitten.“  (Gen 17,25f)

Die Gleichsetzung von „Jahr und Tag“ (13. Lebensjahr und „am gleichen Tag“), „Vater und Sohn“, „freibestimmten Subjekt und Sklave“ sowie „Subjekt und Objekt“, drücken die Einheit der Gegensätze alias „Ganzheit und Halbheit“ aus.

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